12. Juli 2016

Altersarmut: Wenn das Geld nicht reicht

© Marian Weyo/Shutterstock.com
Die Entwicklungen der vergangenen Jahre zeigen: Immer mehr Menschen über 65 sind von Altersarmut bedroht oder betroffen. Sozialverbände, Wissenschaftler und Politiker schlagen verschiedene Konzepte vor, um den Trend zu stoppen. Doch wie schlimm ist die Lage überhaupt? Und was können Rentner, Berufstätige und Berufseinsteiger für sich tun?

„Die Rente ist sicher(lich nicht genug)!“ Solche Wortspiele gibt es in letzter Zeit viele. Vor allem junge Menschen blicken mit einer Mischung aus Sorge und Zynismus in die Zukunft, da sie keine Ahnung haben, wie hoch ihre Rente ausfallen wird und ob sie überhaupt noch eine staatliche Rente erhalten werden. Viele Berufstätige in ihren 50ern ärgern sich über die Absenkung des Rentenniveaus und die Anhebung des Rentenalters. Und manch ein Anfang 60-Jähriger hofft darauf, dass die Politik zumindest solange in zerstrittener Untätigkeit verharrt, bis er das Rentenalter erreicht hat und hoffentlich nicht mehr von weiteren Kürzungen betroffen sein wird.

Im Hinblick auf steigende Zahlen der Altersarmut hilft das alles aber nichts. Im Gegenteil: Wer die Fallstricke kennt, die zu Altersarmut führen können, und die Gesetzesdebatten und -änderungen tatsächlich versteht, kann für sich die bestmögliche Entwicklung herausholen. Entscheidend sind besonders drei Fragen:

  1. Wie viel Geld brauche ich im Alter?
  2. Bin ich später möglicherweise von Altersarmut betroffen?
  3. Was wäre klug, ab jetzt dagegen zu tun?

Wie viel Geld brauche ich?

Klassische Hochrechnungen gehen davon aus, dass man im Alter etwa 80 Prozent des letzten Nettogehalts braucht, um den eigenen Lebensstandard aufrechtzuerhalten. So empfiehlt es beispielsweise die Stiftung Warentest. Die restlichen 20 Prozent fallen weg – etwa Ausgaben für die Kinder, die nun selbst arbeiten, abbezahlte Kredite, jobbezogene Ausgaben wie Fahrtkosten oder Versicherungen, die man nicht mehr braucht. Wer bereits gut verdient und absehen kann, dass die Bezahlung in den kommenden Jahren annähernd gleich bleiben wird, kann mit der Faustformel gut abschätzen, wie hoch die Einnahmen im Rentenalter sein sollten. Im hohen Alter können die Lebenshaltungskosten allerdings wieder ansteigen, wenn höhere Ausgaben für Pflege oder Medikamente anfallen.


Bekomme ich eine Rente?

Alle Hochrechnungen in Bezug auf spätere Renten oder eine mögliche Altersarmut können nur Schätzungen sein. Diese sind zwar bei seriösen Statistiken gut begründet, weil sie sich auf geltende Gesetze und jahrzehntelange Erfahrungen stützen. Doch niemand weiß, wie sich Preise, Löhne, Gesetze und die Welt im Allgemeinen in den nächsten 15 oder 30 oder noch mehr Jahren entwickeln werden. Daher sind Abweichnungen in beide Richtungen möglich. Die Lage kann sich deutlich verbessern, aber auch stark verschlechtern.

Ob man sich Gedanken über eine spätere Altersarmut macht und nach Wegen sucht gegenzusteuern, hängt nicht zuletzt von der eigenen Sicht auf die Welt ab. Wer beispielsweise davon ausgeht, dass die Menschheit sich in spätestens fünf Jahren durch einen Atomkrieg selbst vernichtet, braucht nicht vorzusorgen. Alle anderen sollten ihre Möglichkeiten abwägen und besser früher als später handeln. Denn in nahezu allen Finanzsituationen gilt der Grundsatz: Zeit ist Geld.


Personen, die erst am Anfang ihrer Karriere stehen, die in einer unsicheren oder eher schlecht bezahlten Branche arbeiten, die Teilzeit arbeiten oder arbeitslos sind, können mit der Formel aber wenig anfangen. Für sie ist eine individuelle Hochrechnung passender. Darin sollten folgende Posten enthalten sein:

  • Miete (außer bei absehbarem Wohneigentum)
  • Nebenkosten, wie Strom, Internet, Handy
  • Ernährung (möglicherweise durch einen Bringdienst)
  • Medikamente
  • Versicherungen
  • Ausgaben für Hobbys und Urlaub
  • eventuell Unterstützung im Haushalt beziehungsweise Pflege

verbrauchertipp: Die Mietausgaben fallen von Region zu Region sehr unterschiedlich aus. Wenn Sie kein Eigenheim besitzen, fit genug sind und sich vorstellen können, mit Ende 60 noch einmal umzuziehen, können Sie durch einen Umzug in eine Region mit günstigeren Mieten Geld sparen.


 Wer ist von Altersarmut betroffen?

Wenn die Einnahmen nicht ausreichen, um die Ausgaben zu decken, ist das grundsätzlich schlecht. Doch wann von Altersarmut die Rede sein kann, darüber streiten sich Politik, Verbände und Wissenschaft. Es gibt zwei statistische Werte, auf deren Grundlage sich die Frage nach der Altersarmut beantworten lässt. Das eine ist die Anzahl der Menschen, die die staatliche Grundsicherung im Alter erhält. Das andere ist die Anzahl der Menschen, die laut der Definition, die EU-weit gilt, von Armut bedroht oder betroffen ist. Beide Werte steigen seit Jahren, doch die Anzahl der Betroffenen liegt weit auseinander.

Die staatliche Grundsicherung im Alter bekamen im Jahr 2015 mehr als 536.000 Menschen. Eine klassische Altersrente erhalten laut der Deutschen Rentenversicherung zurzeit etwa 17,36 Millionen Personen. Von der Grundsicherung im Alter sind demnach etwa 3,1 Prozent aller Rentner betroffen.


Staatliche Grundsicherung

Rentner können die staatliche Grundsicherung im Alter beantragen, wenn ihre Einkünfte nicht zum Leben reichen. Zu den Einnahmen zählen gesetzliche, private und betriebliche Renten, Miet- und Pachteinnahmen, Zinsen und 70 Prozent des Gehalts, falls man noch arbeitet. Auch bestimmte Zusatzeinnahmen wie Krankengeld, Unterhalt und Kindergeld werden angerechnet. Pflegegeld, Ehrenamtszuschüsse, gesetzliche Grundrenten, etwa wegen Kriegsverletzungen oder Entschädigungen, und 30 Prozent der Einnahmen aus selbstständiger oder nicht-selbstständiger Arbeit werden nicht als Einkommen bewertet. Liegen alle Einnahmen zusammen unterhalb der Anrechnungsgrenze, erhält man 404 Euro und einen Zuschuss je nach Wohnform (Miete, Eigentum, Pflegeheim). Für weitere Personen im Haushalt oder einen sogenannten Mehrbedarf wie etwa eine Gehbehinderung gibt es ebenfalls Zuschüsse. Zusätzlich werden die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge finanziert.

Die Grundsicherung im Alter bietet somit mehr Leistungen als der Hartz-IV-Satz. Gleichzeitig sind weniger Nachweise nötig. So müssen Kinder und gegebenenfalls Eltern erst ab einem Gehalt von mehr als 100.000 Euro pro Jahr ihr Gehalt offenlegen und Unterhalt zahlen. Weitere Details und eine Musterberechnung gibt es auf der Webseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und bei der Deutschen Rentenversicherung.


Die Zahlen in Bezug auf die Armutsgrenze zeigen allerdings eine deutlich höhere Zahl Betroffener. In der gesamten EU wird dieser Wert nach einem festgelegten Schlüssel berechnet, um ihn vergleichen zu können. Als arm oder armutsgefährdet gilt demnach jeder Mensch, der weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens eines Landes zur Verfügung hat. Es ist davon auszugehen, dass diese Menschen zwar eine Wohnung und ihr Essen bezahlen können. Aber sie können sich nicht unbedingt eine gesunde Ernährung leisten, haben erschwerten Zugang zu Bildung und können kaum oder gar nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben. In Deutschland liegt die Armutsgrenze für eine allein lebende Person aktuell bei 930 Euro pro Monat.

Die Anzahl der Armen und von Armut Gefährdeten in Bezug auf unterschiedliche Altersstufen, Bildungsgrade und Regionen veröffentlicht der Paritätische Wohlfahrtsverband regelmäßig in seinem Armutsbericht anhand von Daten des Statistischen Bundesamts. Der aktuelle Bericht (mit Werten aus dem Jahr 2014) zeigt, dass etwa 15,6 Prozent aller Rentner als arm einzustufen sind. Das sind 2,7 Millionen Menschen, also fünfmal so viele hilfsbedürftige Rentner, die Grundsicherung im Alter beziehen könnten.

Die Diskrepanz kommt laut Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge durch mehreren Gründen zustande: „Viele Personen beantragen die Hilfe nicht, obwohl sie Anspruch darauf hätten. Manche schämen sich, auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein, weil sie nicht als faul gelten wollen. Und manche wissen schlichtweg nicht, dass es so etwas wie Grundsicherung im Alter überhaupt gibt.“ Hinzu kommt: Da die Grundsicherung ursprünglich nur als Übergangsleistung konzipiert wurde, liegt ihr Niveau deutlich unter der Armutsgrenze. Zwar wird der Bedarf individuell ermittelt, da die Mietkosten und der Familienstand eine Rolle spielen. Doch die Deutsche Rentenversicherung empfiehlt: „Wenn Ihr gesamtes monatliches Einkommen durchschnittlich unter 773 Euro liegt, sollten Sie prüfen lassen, ob Sie Anspruch auf Grundsicherung haben.“

Das sind gut 150 Euro weniger als die Armutsgrenze. Daher verwenden viele Verbände und Wissenschaftler, wie auch Christoph Butterwegge, die Armutsdefinition der EU, um die Armutsgefährdung in Deutschland einzuordnen. Im letzten Armutsbericht schrieb der Paritätische Wohlfahrtsverband: „Altersarmut ist schon heute eines der großen sozialen Risiken. Sie droht aber in den nächsten Jahren zu einem Massenphänomen zu werden. Wir wissen schon heute, welche Ansprüche die Rentenversicherten erworben beziehungsweise nicht erworben haben. Wir wissen, dass die Lebenshaltungskosten, etwa für Miete und Energie, wachsen, während der Wert der Rente stetig sinkt. Das alles ist bekannt.“

Betrifft mich die Altersarmut später?

In der Tat lässt sich relativ gut prognostizieren, wer in Zukunft wahrscheinlich von Altersarmut betroffen sein wird. Vor allem Personen, die nur den Mindestlohn verdienen, die bis zur Rente regelmäßig in Teilzeit oder einige Jahre gar nicht arbeiten oder aus anderen Gründen einige Jahre nicht in die Rentenkasse einzahlen, weil sie beispielsweise selbstständig sind, haben ein stark erhöhtes Risiko, dass ihre spätere Rente einmal unterhalb der Armutsgrenze oder sogar unterhalb des Grundsicherungsniveaus liegen wird. In Gruppen gesprochen heißt das: Frauen, Migranten und Niedrigqualifizierte sind am häufigsten von Altersarmut betroffen. In Bundesländern ausgedrückt zeigt sich: Momentan sind die Altersarmutsquoten im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Bayern besonders hoch, weil dort viele Frauen in den vergangenen 40 Jahren nicht oder kaum gearbeitet haben. Verschiedene Studien weisen das nach.

In Zukunft dürften sich manche Entwicklungen verändern, andere noch verstärken. So lässt eine aktuelle Studie zur Altersarmut in Deutschland im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung die Vermutung zu, dass die Altersarmut in den kommenden Jahren vor allem in den ostdeutschen Bundesländern stark ansteigen wird. Dort macht sich dann die Arbeitslosigkeit vieler Menschen in den Jahren nach der Wende bemerkbar. Außerdem sind private und betriebliche Renten dort kaum vorhanden. In Bayern dürfte die Quote hingegen sinken. Im einwohnerstarken Nordrhein-Westfalen bleibt sie voraussichtlich ungefähr gleich.


verbrauchertipp: Als Mutter haben Sie ein sehr hohes Risiko für Altersarmut. In vielen Großstädten gibt es deshalb spezielle Beratungsangebote, in denen Frauen anderen Frauen erklären, wie sie trotz Teilzeitarbeit, Erziehungs- und Pflegezeiten eine auskömmliche Rente erhalten können. Zu finden sind diese im Internet unter dem Stichwort „Frauen-Finanzberatung“.


In allen Bundesländern ist und bleibt aber das Risiko für Frauen sehr hoch, später in die Altersarmut abzurutschen. Eine Durchschnittsrente gibt es derzeit nach 45 Berufsjahren mit einem Durchschnittsbruttogehalt von 3022 Euro pro Monat. Wer die gleiche Zeit lang nur 2100 Euro brutto verdient hat, ist nach aktuellen Hochrechnungen im Alter auf Grundsicherung angewiesen. Das Gleiche gilt für Personen, die zwar den Durchschnittsverdienst zum Rentenbeginn erreichen, aber nur 35 oder weniger Berufsjahre nachweisen können, weil sie in der Restzeit beispielsweise unentgeltlich die Kinder erzogen und die Eltern gepflegt oder einfach lange studiert haben.


verbrauchertipp: Klären Sie frühzeitig Ihr Konto bei der Deutschen Rentenversicherung. Denn wer Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, bekommt diese Zeiten angerechnet. Für Kinder, die nach 1992 geboren sind, werden jeweils 36 Monate mit dem damals geltenden Durchschnittsverdienst aller Versicherten gutgeschrieben. Für die Pflege gibt es später je nach Pflegestufe und Bundesland bis zu 20,24 Euro extra pro Monat.


Wie reagiert der Staat?

Mittlerweile gibt es diverse Politiker, die laut aussprechen, was Wissenschaftler und Verbände schon länger monieren: Die Umstrukturierung der gesetzlichen Rente und der Weg zu mehr privater Vorsorge hat nicht funktioniert. Ob und wie dieses Manko in den kommenden Jahren ausgeglichen wird, ist zurzeit noch unklar. Es werden verschiedene Modelle diskutiert. Manche Wissenschaftler schlagen vor, die Förderquoten für Riester- und Rüruprente zu verbessern und Erziehungs- und Pflegezeiten besser zu berücksichtigen. Andere fordern, die gesetzliche Rente wieder zu stärken und auszubauen, indem auch Beamte, Richter, Soldaten und Ärzte in das solidarische Rentensystem einzahlen. Wie eine solche Rente für alle aussehen könnte und warum sie trotz des demografischen Wandels funktionieren kann, erklärt Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge.

Wie lässt sich die Rentenlücke schließen?

Um im Alter von der Rente leben zu können, ist es ratsam, frühzeitig die sogenannte individuelle Rentenlücke zu berechnen. Diese zeigt auf, wie viel Geld man im Rentenalter braucht, um seinen Lebensstandard halten zu können, und wie hoch die bisherigen Anwartschaften auf gesetzliche, betriebliche und private Renten sind. Im Internet gibt es dafür verschiedene Rentenlücken-Rechner, beispielsweise von der Stiftung Warentest oder der Süddeutschen Zeitung in Kooperation mit dem Finanzdienstleister Biallo. Steht die Rentenlücke fest, lässt sich individuell überlegen, ob und wie man diese durch private Vorsorge schließen möchte.

Allerdings lohnt die private Absicherung nicht für jeden. Wer in zehn Jahren in Rente geht und absehen kann, dass das eigene Einkommen deutlich unterhalb der Grundsicherung liegen wird, sollte gut nachrechnen, ob sich eine Privatversicherung tatsächlich lohnt. Denn alle privaten und betrieblichen Renten werden von der Grundsicherung abgezogen. Diese kosten aber zum Teil Abschlussgebühren oder verursachen laufende Kosten. Insofern kann es für manche Personengruppen sinnvoller sein, das Geld nicht in einen Vertrag zu investieren, der nur Verluste bringt, sondern sich darauf einzustellen, dass man vermutlich die Grundsicherung beziehen wird. Für wen das die sinnvollste Option ist, können beispielsweise die Verbraucherzentralen der Länder beurteilen. Diese verkaufen keine Verträge und können somit auch von einem Abschluss abraten, wenn das die sinnvollste Option ist.

Wer allerdings genug verdient oder noch ausreichend Zeit hat, um privat vorzusorgen, kann und sollte das auf verschiedenen Wegen tun. Welche davon sinnvoll sind, hängt nicht nur vom Produkt, sondern auch vom eigenen Gehalt, der Risikobereitschaft, der Familienplanung und der Zeit bis zur Rente ab. Es ist auch entscheidend, wie gut man den Verdienst und die Jobentwicklung der kommenden Jahre und Jahrzehnte einschätzen kann und ob man sich zwischendurch regelmäßig mit der Altersvorsorge beschäftigen oder lieber einmal etwas abschließen und es dann 30 Jahre laufen lassen möchte.

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