18. Februar 2017

Das leistet der Schwerbehindertenausweis

© zlikovec/Shutterstock.com
Wer im Alltag regelmäßig Hilfe braucht, eine starke Sehschwäche hat oder schlecht laufen kann, hat eventuell Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis Dieser kann enorme Vorteile bringen, etwa Steuererleichterungen und Preisnachlässe, mehr Urlaub und einen besseren Kündigungsschutz, eine sehr günstige oder kostenlose Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs und einiges mehr. verbraucherblick erklärt, für wen sich der Ausweis lohnt und was beim Antrag zu beachten ist.

Mehr als 7,6 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Schwerbehindertenausweis. Das bedeutet, mehr als neun Prozent der Bevölkerung sind in einem oder mehreren Bereichen des Lebens nachweislich so stark eingeschränkt, dass sie besondere Unterstützungsangebote des Staates nutzen dürfen. Lediglich ein Drittel der Betroffenen ist über 80 Jahre alt. Ein weiteres Drittel sind Erwachsene zwischen 45 und 65 Jahren, die zum Teil noch mitten im Berufsleben stehen. Die restlichen Betroffenen verteilen sich auf junge Rentner, junge Erwachsene und Kinder.

Eine schwere Behinderung ist somit keineswegs ein reines Altersphänomen. Deshalb hat der Gesetzgeber verschiedene Vorteile geschaffen, damit Schwerbehinderte nach ihren Möglichkeiten am beruflichen Leben teilhaben können. Auch Steuervorteile und finanzielle Entlastungen im Gesellschaftsleben sind möglich. Zwar ist niemand verpflichtet, eine schwere Behinderung zu melden. Wer jedoch die staatlichen Vorteile nutzen möchte, muss seine Beeinträchtigungen einschätzen und in einem eigenen Ausweis vermerken lassen.


verbrauchertipp: Die Einschätzung und der Ausweis sind kostenlos. Wenn Sie bestimmte Schwierigkeiten im Alltag haben (siehe unten), scheuen Sie sich nicht, Ihren Hausarzt zu fragen, ob ein Behindertenausweis für Sie in Frage käme.


 Definition: schwerbehindert

Eine Schwerbehinderung im Sinne des deutschen Gesetzes kann sehr unterschiedlich aussehen. Entscheidend ist der sogenannte Grad der Behinderung (kurz: GdB). Das örtliche Versorgungsamt legt ihn anhand ärztlicher Atteste fest. Die Einteilung erfolgt in 10er-Schritten zwischen 20 und 100. Ab einem GdB von 50 gilt eine Person als schwerbehindert. 

Entscheidend für die Einstufung sind dauerhafte Einschränkungen im Alltag. Ob diese von Geburt an bestehen oder durch eine Krankheit oder einen Unfall verursacht wurden, ist unerheblich. Einen GdB von 50 oder mehr erhalten beispielsweise Personen, die

  • blind sind oder eine starke Sehschwäche haben,
  • taub oder stark schwerhörig sind,
  • starke Schwierigkeiten beim Gehen und Stehen haben oder grundsätzlich einen Rollstuhl brauchen,
  • dauerhaft Hilfe bei Alltagstätigkeiten brauchen, wie etwa beim Waschen, Anziehen, Essen und Trinken, oder
  • eine Krankheit haben, bei der unvorhergesehene Anfälle auftreten können, wie etwa Multiple Sklerose oder Epilepsie.

Auch einzelne, weniger schlimme Einschränkungen, die sich gegenseitig beeinflussen, können einen GdB von 50 ergeben. Das können beispielsweise sein:

  • Sehschwäche und Schwierigkeiten beim Gehen
  • Diabetes und wiederkehrende Lähmungserscheinungen
  • Demenz und schwankende Hilfsbedürftigkeit
  • Schwerhörigkeit und Sprachstörungen

 Leistungen

Personen, die eine nachgewiesene Schwerbehinderung haben, können in Deutschland von verschiedenen Vorteilen profitieren. Welche das sind, hängt vom GdB und von den sogenannten Merkzeichen ab. Beides wird in den Schwerbehindertenausweis eingetragen. Denn nicht jede Einschränkung berechtigt zu den gleichen Vergünstigungen.

Folgende Merkzeichen gibt es:

  • B: ständige Begleitung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel notwendig
  • Bl: blind oder stark sehbehindert
  • G: erhebliche Geh- und/oder Stehbehinderung oder erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr
  • aG: außergewöhnliche Gehbehinderung
  • Gl: gehörlos oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit schwerer Sprachstörung
  • H: hilflos, zum Beispiel bei Alltagstätigkeiten regelmäßig Unterstützung notwendig
  • RF: Ermäßigung oder Befreiung vom Rundfunkbeitrag

Diese sind die wichtigsten Vorteile, fachlich korrekt Nachteilsausgleiche genannt, der einzelnen Merkzeichen:

Nachteilsausgleiche
B Bl G aG Gl H RF
Unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Nahverkehr R R1 R1 R1 R
Unentgeltliche Beförderung einer Begleitperson im öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowie bei (den meisten) innerdeutschen Flügen R
Ermäßigung der Kfz-Steuer R2 R2
Befreiung von der Kfz-Steuer R R R
Kostenloser Fahrdienst

(in vielen Gemeinden)

R
Parkerleichterungen R R
Befreiung von der Hundesteuer

(in vielen Gemeinden)

R R
Ermäßigung oder Befreiung vom Rundfunkbeitrag R R R
Weitere Steuererleichterungen oder Zuschüsse R R R R R

 

1 nach Erwerb einer Wertmarke für 80 Euro pro Jahr

2 wenn die Wertmarke für unentgeltliche Beförderung nicht in Anspruch genommen wird

Wer einen Schwerbehindertenausweis hat, darf nicht automatisch einen Behindertenparkplatz nutzen. Dafür ist ein spezieller EU-Parkausweis (blau) nötig. Nur Menschen mit dem Merkzeichen aG oder Bl sowie Contergangeschädigte (beidseitige Amelie oder Phokomelie) und Menschen mit vergleichbaren Beeinträchtigungen (zum Beispiel Amputation beider Arme) erhalten diesen. Anträge nehmen die Straßenverkehrsbehörden oder das städtische Ordnungsamt entgegen.

Unabhängig vom Merkzeichen berechtigt ein GdB von 50 oder mehr zu weiteren Nachteilsausgleichen. Dazu gehören insbesondere:

  • Erhöhte Steuerfreibeträge
  • Bevorzugte Einstellung, besserer Kündigungsschutz und Zusatzurlaub
  • Um bis zu fünf Jahre frühere Altersrente oder Pensionierung ohne Abzüge möglich
  • Verschiedene Finanzierungshilfen und Preisnachlässe

verbrauchertipp: Ob und welche Nachteilsausgleiche Sie mit einem Schwerbehindertenausweis nutzen, ist stets freiwillig. Der Ausweis berechtigt, er verpflichtet nicht.


Antrag auf einen Schwerbehindertenausweis

Wer sich einschätzen lassen möchte, muss einen Antrag beim zuständigen Versorgungsamt stellen. Vor Ort oder telefonisch lässt sich der entsprechende Vordruck anfordern. Adressen und Telefonnummern gibt es bei den regionalen Versorgungsämtern der Bundesländer.


So stellen Sie Ihren Antrag

  • Besprechen Sie die Antragstellung mit Ihrem Hausarzt. Lassen Sie sich die einzelnen Auswirkungen von Krankheiten, Unfällen oder angeborenen Einschränkungen schriftlich bestätigen. Diese sind entscheidend – nicht nur die Diagnose.
  • Informieren Sie die behandelnden Ärzte und Kliniken von Ihrem Vorhaben, die Ihre Einschränkungen am besten beurteilen können, auch Reha-Einrichtungen sind möglich. Befreien Sie alle von der Schweigepflicht gegenüber dem Versorgungsamt.
  • Kopieren Sie alle Unterlagen, die Ihren Antrag untermauern – wie ärztliche Befunde, Kurberichte, Pflegenachweise – und senden Sie diese mit dem Antrag ein. Ohne diese Nachweise erhalten Sie vermutlich einen deutlich zu niedrigen GdB anerkannt.
  • Legen Sie außerdem ein Lichtbild bei.
  • Wenn Sie unsicher sind, suchen Sie sich Unterstützung, zum Beispiel beim Sozialverband VdK. Dieser hilft Mitgliedern kostenlos bei der Antragstellung und einem eventuell notwendigen Widerspruch. Der VdK gibt weitere Informationen und unterstützt.

Nachdem das Amt den GdB festgelegt hat, erhalten Sie den Feststellungsbescheid. Ab einem GdB von 50 können Sie damit den Schwerbehindertenausweis sowie die gewünschten Nachteilsausgleiche beantragen. In der Regel sind diese fünf Jahre gültig und können bis zu zwei Mal verlängert werden. Danach ist eine erneute Prüfung nötig. Nur in Ausnahmefällen, etwa wenn eine Besserung definitiv nicht zu erwarten ist, wird der Ausweis auf Lebenszeit ausgestellt. Wenn sich die Situation zwischenzeitlich verbessert, sind Betroffene verpflichtet, das dem Versorgungsamt mitzuteilen. Um Betrug zu vermeiden, führen die Ämter auch gelegentlich Prüfungen durch.

Mit einem GdB von 20, 30 oder 40 können Sie ebenfalls Vorteile nutzen, allerdings nicht so viele. Unter Umständen können Sie allerdings mit einem niedrigeren GdB eine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten erhalten. Das ist möglich, wenn jemand nur mit dieser Gleichstellung einen Arbeitsplatz bekommen oder behalten könnte. Ausführliche Informationen dazu finden Sie bei der Bundesagentur für Arbeit, Suchworte: Gleichstellung, Behinderung.

Sind Sie mit der Einstufung nicht einverstanden, können Sie üblicherweise binnen eines Monats Widerspruch einlegen. Die Frist muss im Schreiben genannt sein.


verbrauchertipp: Wenn sich Ihr Zustand verschlechtert, können Sie jederzeit einen Antrag auf Erhöhung des Grades der Behinderung (GdB) stellen. Das ist aber nur sinnvoll, wenn Sie sicher sind, dass Sie einen höheren GdB erhalten. Denn auch eine Herabstufung ist bei erneuter Prüfung möglich.


Besser kein Antrag

Der Schwerbehindertenausweis und die damit verbundenen Nachteilsausgleiche können das Leben enorm erleichtern. Trotzdem kann es sinnvoll sein, mit dem Antrag auf einen (höheren) GdB noch zu warten. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Sie gerade auf Jobsuche sind und die bevorzugte Einstellung von Schwerbehinderten nicht nutzen wollen. Da das Gesetz alle Schwerbehinderten deutlich besser vor Kündigung schützt und ihnen Extra-Urlaub gestattet, ist bei manchen Arbeitgebern zu befürchten, dass sie lieber keinen Schwerbehinderten einstellen. Zwar müssen diese gefördert werden, doch eine Benachteiligung ist nur sehr schwer nachzuweisen.


verbrauchertipp: Sie müssen Ihren Arbeitgeber weder um Erlaubnis fragen noch ihm davon erzählen, wenn Sie einen Antrag auf Schwerbehinderung stellen wollen. Nur wenn Sie die Jobvorteile nutzen wollen, muss er es erfahren.


In den meisten Fällen können Sie aber von einem Antrag profitieren. Durch die Schwerbehinderung können Sie die Bevorzugung bei der Jobsuche nutzen. Wer bereits im Job ist, hat dann Anspruch auf mehr Urlaub. Außerdem wird eine Kündigung erschwert. Wer bereits Rente bezieht, kann die Vorteile im Alltag nutzen.

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