14. September 2021

Ein Herz für alte Sorten

Endlich Sommer! Für mich von jeher die schönste Zeit des Jahres. Meine sommerlichen Kindheitserinnerungen sind eng verknüpft mit den Streifzügen durch den großelterlichen Garten, dem süßen Geschmack der Erdbeeren und Pfirsiche, den knackigen Gurken und Erbsen.

Als Städterin, die ich heute bin, kaufe ich all dies im Supermarkt. Doch es ist einfach nicht dasselbe. Ob es daran liegt, dass Obst und Gemüse im Verkaufsfach heute ganz anderen Anforderungen genügen muss als im heimischen Garten? Kaum eine Gurke oder Paprika, die aus der Art schlägt. Die Pflanzen sollen möglichst im gleichen Tempo wachsen, von gleichmäßiger Gestalt sein, zum selben Zeitpunkt reif werden – und selbstverständlich hohe Erträge bringen. Günstig, stabil und fest muss die Ware sein, um auch den Transport unbeschadet zu überstehen. Solche Anforderungen erfüllen in der Regel sogenannte F1-Hybrid-Sorten. Sie werden nur für den einmaligen Ertrag gezüchtet und ihre Samen zum Anbau nicht weiterverwendet.

Dieser Optimierungswahn im Obst- und Gemüseregal hat Folgen. Die Auswahl an verschiedenen Sorten ist oft überschaubar oder gar nicht vorhanden. Bei Äpfeln gibt es zwar mehrere, doch immer wieder die gleichen Sorten. Dabei existieren weltweit schätzungsweise über 20.000 Apfelsorten. Immerhin erfahre ich auf der Verpackung, mit welchen Äpfeln ich es zu tun haben. Für Erdbeeren, Kiwis, Tomaten oder Gurken ist diese Kennzeichnung nicht vorgeschrieben. Kein Wunder, dass uns oft das Bewusstsein für die Vielfalt dieser Arten fehlt. Und diese Vielfalt ist in Gefahr. In den letzten 100 Jahren sind schätzungsweise 75 Prozent der weltweiten Kulturpflanzensorten unwiederbringlich verloren gegangen. Dabei ist Sortenvielfalt so wichtig. Je bunter die Vielfalt, umso größer sind die genetischen Ressourcen, auf die in der Pflanzenzucht zurückgegriffen werden kann. Nur so können zukünftige Sorten beispielsweise widerstandsfähiger gegen Schädlinge gemacht werden.

Höchste Zeit also, selbst zum Sortenretter zu werden. Städter wie ich können die Angebote auf Wochenmärkten und in Bio- und Hofläden nutzen. Wer einen Garten hat, kann beim Anbau auf alte, samenfeste Sorten zurückgreifen. Sie lassen sich auch im nächsten Jahr wieder aussäen. Das spart Geld für teure Saatkörner und erhält unser wertvolles Kulturgut. Wer gezielt bedrohte Sorten retten will, wird unter anderem in den Online-Shops spezieller Erhaltungsinitiativen fündig. Denn diese Vielfalt schmeckt nicht nur uns, sondern auch unserem Planeten!

Luise Hoffmann ist stellvertretende Referats- und Projektleiterin für Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale Thüringen. In dieser Funktion liegen ihr besonders die Verbraucheraufklärung und -information in den Bereichen Lebensmittelkennzeichnung, nachhaltige Ernährung und Tierwohl am Herzen.