23. Januar 2021

Wohnzimmerwetten

© Wpadington/Shutterstock

Fernsehzuschauer sehen regelmäßig die Werbespots von Online-Casinos und Sportwetten. Beide gehören zu den Online-Glücksspielen, für die ab dem 1. Juli 2021 neue Regeln in Deutschland gelten. Bereits seit Oktober vergangenen Jahres sind zuvor illegale Online-Angebote hierzulande geduldet, wenn bestimmte Regeln eingehalten werden. Suchtexperten kritisieren das heftig. verbraucherblick schaut, welche Rolle Sportwetten spielen könnten, wie sie funktionieren und worauf man achten sollte.

Ab dem 1. Juli 2021 sind private Glücksspiele im Internet bundesweit erlaubt. Das sieht der neue Glücksspieländerungsstaatsvertrag (GlüStV) vor, der am 1. Juli 2021 in Kraft treten wird. Bisher hatte nur das Bundesland Schleswig-Holstein entsprechende Lizenzen vergeben. Seit dem 15. Oktober 2020 gilt eine Übergangsregelung, welche die Arbeitsgruppe der Staatskanzleien der Bundesländer erstellt hat. „Ihr Kern ist eine übergangsweise Duldung der deutschen Online-Casino- und Sportwettenanbieter, sofern sie diejenigen Voraussetzungen erfüllen, die durch den Dritten Glücksspieländerungsstaatsvertrag in Kraft treten sollen“, sagt Tatjana Halm, Referatsleiterin Markt und Recht bei der Recht bei der Verbraucherzentrale Bayern.

Der Juristin zufolge haben die Staatskanzleien unter anderem festgelegt, dass die Anbieter gewährleisten müssen, die technisch bereits umsetzbaren Vorgaben zum Spielerschutz und zur Spielsuchtbekämpfung einzuhalten. Dazu zählt, den Ausschluss minderjähriger oder gesperrter Spieler durch Identifizierung und Authentifizierung sicherzustellen und keine Dienste anzubieten, die unter den Paragrafen 22c GlüStV 2021 fallen. Darunter fallen beispielsweise Roulette und Black Jack. „Für Verbraucher wird jetzt schon vorweggenommen, was ab dem 1. Juli 2021 sowieso Gesetzeskraft haben wird“, sagt Halm. „Die Staatskanzleien haben über den Weg der Ermessensausübung einen guten Weg gefunden, um bis zum 30. Juni 2021 bestehende, rechtliche Unsicherheiten zu überwinden und den Anbietern zu mehr Rechtssicherheit zu verhelfen.“

Diese Rechtssicherheit könne sich bestenfalls auch positiv auf den Nutzer auswirken, da die Anbieter jetzt schon die Vorgaben zum Schutz Minderjähriger sowie zur Suchtprävention umsetzen müssten. Es bleibe aber abzuwarten, so Verbraucherschützerin Halm, ob diese Vorgaben ausreichten, um in der Praxis für klare Maßnahmen zu sorgen, die diese wichtigen Ziele tatsächlich erreichen. Oder ob Anbieter versuchen würden, Lücken zu finden, diese Vorgaben zu umgehen, um mögliche Kunden nicht zu verlieren.

verbrauchertipp
Bedenken Sie, dass Glücksspiel eine hohe Suchtgefahr birgt. Durch die Zulassung der Online-Casinos in Deutschland dürfe nicht der Eindruck entstehen, Glücksspiel sei ungefährlich, warnt Tatjana Halm von der Verbraucherzentrale Bayern.

Rechtlicher Graubereich

Hintergrund: Der Europäische Gerichtshof hatte 2010 das staatliche Glücksspielmonopol in Deutschland gekippt. Bis dahin durfte nur die Lotto-Tochter Oddset Sportwetten anbieten. Im Dezember 2011 hatten alle Bundesländer bis auf Schleswig-Holstein den ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag unterzeichnet. Dieser erlaubte unter anderem, dass Sportwetten während einer zunächst siebenjährigen Experimentierphase auch von privaten Anbietern veranstaltet werden durften. Für diesen Zeitraum sollten bis zu 20 deutsche Konzessionen vergeben werden. „Doch ein Anbieter ging gerichtlich gegen das Auswahlverfahren vor und bekam Recht“, sagt Halm. Online-Casinos waren weiterhin verboten.

Ergebnis war eine Blockadesituation. Es wurden keine deutschen Konzessionen für Sportwetten erteilt. Eine Ausnahme bildete Schleswig-Holstein. „Dort haben acht private Wettanbieter Konzessionen bekommen. Die anderen privaten Anbieter besitzen oft Lizenzen der Europäischen Union, meist aus Malta und Gibraltar“, erläutert die Verbraucherschützerin. Solange diese Wettanbieter in Deutschland tätig waren, ohne eine deutsche Konzession zu haben, so Halm, agierten sie vor der übergangsweisen Duldung in einem rechtlichen Graubereich. Der Anfang Januar 2020 in Kraft getretene Dritte Glücksspieländerungsstaatsvertrag sieht vor, dass die Experimentierphase bis Ende Juni 2021 verlängert wird und eine unbegrenzte Anzahl an Lizenzen für Sportwettenanbieter vergeben werden kann, sofern diese insbesondere Anforderungen zum Jugendschutz, zur Suchtvorsorge und zur IT-Sicherheit erfüllen.

Kritik von Suchtexperten

Doch die übergangsweise Duldung stößt auf Kritik. „Ich sehe das als eine Karikatur des Spielerschutzes, denn die geplante zentrale, glücksspiel- und länderübergreifende Sperrmöglichkeit für Spieler soll erst ab dem 1. Juli 2021 vorliegen“, ärgert sich Jürgen Trümper, Geschäftsführer des Arbeitskreises gegen Spielsucht in Unna. Ansonsten vollziehe der Gesetzgeber mit der Duldung nur das nach, was im Empfinden der Bevölkerung, angeheizt durch die allgegenwärtige Werbung, bereits Realität sei. „Die meisten Konsumenten dachten über viele Jahre hinweg, dass private Online-Casinos und Sportwetten in Deutschland legal sind“, beobachtet Trümper. Dabei sei das nur in Schleswig-Holstein der Fall gewesen – und zwar nur für Schleswig-Holsteiner.

Tobias Hayer von der Universität Bremen kritisiert: „Für mich ist es suchtpsychologisch und rechtsstaatlich nicht nachzuvollziehen, dass bisher illegale Glücksspielanbieter mit einer Art Duldung belohnt werden, bevor der neue Glücksspielstaatsvertrag in Kraft tritt.“ Der Glücksspielforscher fürchtet, dass die Anbieter nun noch intensiver werben könnten als bisher. Denn zur bereits legalen Sportwetten-Werbung komme nun noch deutschlandweit Werbung für Online-Casinos hinzu. „Das Problem ist, dass die Sportwetten und Online-Casinos gerade über die Bandenwerbung in Stadien und die flankierende Werbung im Fernsehen die Mitte der Gesellschaft erreichen. Wenn Prominente wie Oliver Kahn zur Spielteilnahme auffordern, sehe ich das als Suchtforscher mit großer Sorge“, mahnt Hayer.

Mehr Wettsüchtige

Der Wissenschaftler schätzt die Zahl der Menschen mit glücksspielbezogenen Problemen in Deutschland auf etwa 500.000. Aber es gebe eine „Gefahrenhierarchie“ bei den Spielformen, so Hayer: „An erster Stelle steht das Automatenspiel, gefolgt von den Sportwetten – vor allem den internetbasierten Angeboten.“

Während vor 10 bis 15 Jahren in den Anlaufstellen für Spielsüchtige 80 Prozent der Hilfesuchenden automatenspielsüchtig waren und Suchtprobleme mit Sportwetten unter ferner liefen rangierten, sei der Anteil der Sportwettsüchtigen inzwischen sukzessive gestiegen auf meist 20 Prozent, in der Spitze sogar bis zu 30 Prozent. „Wohlgemerkt: Dieser Anteil bezieht sich nur auf die Hilfesuchenden. Wir wissen aber, dass nur 10 bis 15 Prozent aller Spielsüchtigen überhaupt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen“, betont Hayer.

Wettsucht: Das können Betroffene und Angehörige tun

Es gibt in Deutschland ein breit angelegtes Hilfesystem, bestehend aus Fachkliniken, ambulanten Beratungsstellen, Internetberatung, Telefon-Hotlines und Selbsthilfegruppen. Einen Überblick bietet der Fachverband Glücksspielsucht. Wer wissen möchte, was in einem Spieler vorgeht, sollte den Roman „Der Spieler“ von Fjodor Dostojewski lesen.Tipps für den Alltag:
…für Betroffene
• Wett- und andere Glücksspielsüchtige sollten so wenig Bargeld wie möglich im Portemonnaie haben. Nehmen sie zum Einkaufen Geld mit, sollte ihr Partner hinterher den Bon kontrollieren – so lange, bis der Betroffene wieder angemessen mit Geld umgehen kann.
• Wer zum Beispiel ein Bild seines Kindes im Portemonnaie bei sich trägt, wird stets daran erinnert, bevor er Geld ausgibt.
• Wer gefährdet ist, kann sich bei den Anbietern sperren lassen.
• Wett- und andere Glücksspielsüchtige sollten stets die Telefonnummer eines Hilfeangebotes bei sich tragen, um sich dort in Krisensituationen melden zu können.
• Sogenannte Blocking- und Filtering-Software blockieren Internetseiten von Glücksspielanbietern im Internet, um den Süchtigen zu schützen. Einige Beispiele sind Gamban, Gamblock und Betfilter. Allerdings liegen noch keine Forschungsbefunde zu ihrer Wirksamkeit vor….für Angehörige
• Die Angehörigen leiden unter der Wett- und Casino-Sucht des Familienmitglieds. Deshalb sollten sie sich selbst Hilfe suchen, unabhängig vom Süchtigen. Das können zum Beispiel ambulante Gesprächsangebote sein oder eine Selbsthilfegruppe.
• Man sollte dem Süchtigen niemals etwas androhen, was hinterher nicht umgesetzt wird. Wer beispielsweise sagt, „wenn Du noch mal zockst, trenne ich mich von Dir“ und hinterher trotzdem beim Partner bleibt, ist unglaubwürdig.
• Verwenden Sie dem Betroffenen gegenüber Ich-Botschaften anstelle von Schuldzuweisungen. Beispiel: „ich mache mir Sorgen“ anstelle von „du bist schuld“.

Quelle: Tobias Hayer, Universität Bremen

Pandemie erhöht Suchtgefahr

Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln weisen über alle Glücksspielformen hinweg etwa 430.000 Menschen bundesweit ein mindestens problematisches Spielverhalten auf. Wie weit verbreitet Internet-Glücksspiele wie Online-Casino, Online-Automatenspiele und Online-Sportwetten in Deutschland sind, zeigt eine repräsentative Studie aus dem Jahr 2019: Von den Befragten haben 37,7 Prozent der 16- bis 70-Jährigen angegeben, im vergangenen Jahr mindestens einmal an einem Glücksspiel teilgenommen zu haben. Bei den Männern waren es 44,4 Prozent und bei den Frauen 30,9 Prozent.

Während der Pandemie sieht die BZgA eine erhöhte Suchtgefahr durch Online-Glücksspiele. „Die Nutzung digitaler Medien in Beruf und Freizeit hat in den letzten Monaten, bedingt durch die Coronavirus-Pandemie, deutlich zugenommen – damit rücken auch Online-Glücksspiele vermehrt in den Fokus“, sagt Leiterin Heidrun Thaiss. Gerade Online-Casinospiele bergen ihr zufolge das Risiko einer Suchtentwicklung, denn die schnelle Spielabfolge, die rasch wechselnden visuellen Reize und das Spielen um virtuelles Geld seien verlockend und könnten dazu führen, dass der Bezug zu den real entstehenden Verlusten verloren gehe.

Eigene Grenzen setzen

Trümper vom Arbeitskreis gegen Spielsucht mahnt, den Bereich der Sportwetten nicht aus den Augen zu verlieren, auch wenn die öffentliche Aufmerksamkeit derzeit eher den Online-Casinos gelte. „Sportwetten sind das einzige Glücksspiel, das die meisten Nutzer nicht als solches wahrnehmen“, so Trümper. „Insbesondere junge Sportwetter meinen, ein Wettgewinn beruhe auf ihrer Kompetenz und sie könnten mit ihrem Fußballwissen leicht Geld verdienen. Wenn sie verlieren, liegt es ihrer Wahrnehmung nach zum Beispiel an Fehlentscheidungen des Schiedsrichters.“ Für gefährlich hält der Suchtberater auch, dass private Wettportale im Regelfall einen Link zum Online-Casino enthalten. Viele Menschen gelangen über die Sportwetten in die unmittelbare Nähe der Online-Casinos mit Slotmachines. „Während ihr Fußballspiel läuft, können sie dorthin wechseln, um die Zeit zu füllen“, schildert Trümper. Auf diesem Wege landeten Nutzer bei Glücksspielangeboten, die ein noch höheres Sucht- und damit Gefährdungspotenzial hätten als Sportwetten.

Möchte ein Fußballfan hin und wieder eine Sportwette platzieren, sollte er sich an gewisse Regeln halten. Suchtpsychologe Tobias Hayer: „Grundsätzlich habe ich nichts gegen Sportwetten, sofern eine Teilnahme in Maßen erfolgt. Spielinteressierte sollten dabei stets wohlinformierte Entscheidungen treffen und vorher überlegen, ob sie sich das leisten können.“ Er empfiehlt, sich von Anfang an finanzielle Limits zu setzen.

verbrauchertipp
Setzen Sie sich Grenzen bezüglich der Kontinuität und der Einsätze, wenn Sie eine Sportwette abschließen wollen, rät Suchtberater Jürgen Trümper. Und spielen Sie, wenn überhaupt, nur mit Ihrem eigenen Geld.

Sportwetten in der Praxis

Doch wie funktionieren Sportwetten überhaupt? Dem Bonner Statistiker Michael Monka zufolge sind mehr als 90 Prozent der Sportwetten in Deutschland Fußballwetten, gefolgt von Tenniswetten. Er betreibt ehrenamtlich mit anderen Fußballfans die Internetseite Youpriboo, eine Analyse- und Strategieplattform für Fußballwetten. Wer nun auf die Internetseite eines Wettanbieters blickt, genannt Buchmacher, sieht neben den Spielen die jeweiligen Quoten. „Der Buchmacher berechnet die einzelnen Spielausgänge in Wahrscheinlichkeiten und wandelt diese in marktfähige Wettquoten um“, erläutert Monka. Die Quote bezeichnet den Faktor, mit dem der Einsatz des Spielers im Falle eines Gewinns multipliziert wird.

Ein Beispiel: Die Ergebnisse Sieg, Unentschieden und Niederlage haben gemeinsam eine Wahrscheinlichkeit von 100 Prozent. Angenommen, der Buchmacher erwartet vor einem Spiel des 1. FC Union Berlin gegen Eintracht Frankfurt mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent einen Sieg für Union Berlin, einer von 20 Prozent ein Unentschieden und einer von 30 Prozent einen Sieg für die Eintracht. Nun errechnet er die Quoten nach der Formel: 100 geteilt durch die Wahrscheinlichkeit in Prozent. Für einen Sieg der Berliner ergibt das eine Quote von 1 zu 2, denn 100 geteilt durch 50 ist 2. Die Quote für ein Unentschieden lautet 1 zu 5 und für einen Sieg der Frankfurter 1 zu 1,33. „Setze ich zehn Euro auf Union Berlin, bekomme ich im Falle eines Sieges 20 Euro, also zehnmal die Quote von zwei, sofern man die Gebühr des Anbieters nicht mitrechnet“, sagt Monka. Und fügt hinzu: „Private Buchmacher erheben eine Gebühr von 5 bis 7 Prozent pro Wette und der staatliche Sportwettenanbieter Oddset von 9 bis 15 Prozent.“

Die Abwesenheit der Zuschauer bei einem Geisterspiel unter Pandemie-Bedingungen beeinflusst übrigens den Ausgang des Spiels, wie Monka beobachtet: „Es wird weniger emotional agiert und nicht mehr so oft gefoult. Das ist ein Vorteil für Mannschaften, die auswärts spielen.“ Sonst hätten eher die Heim-Mannschaften gewonnen.

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Aufklärung, Fachberatung, Hilfe, Selbstsperre (Fachverband Glücksspielsucht)

Selbsttest Glücksspielsucht

Informationsmaterialien zur Glücksspielsucht (BZgA)

Arbeitskreis gegen Spielsucht

Analysen und Strategien Fußballwetten (Youpriboo)

mehr lesen Sie in verbraucherblick 01/2021.

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Bettina Blaß ist seit über 15 Jahren selbstständige Verbraucherjournalistin und Trainerin für Internetthemen. Zuvor war sie Redakteurin für die WISO Monats-CD und bei der G+J Wirtschaftspresse Online stellvertretende Redaktionsleiterin. Ihr Fokus liegt auf den Themen Internet, Finanzen und Immobilien. Privat schreibt sie für ihr Reise- und Genussblog Op jück.