24. Oktober 2021

Glückspilz oder Gammelschwammerl?

© Anna Pasichnyk/Shutterstock

Von Steinpilzen, Champignons und Pfifferlingen haben sicherlich viele schon gehört und diese auch schon gegessen. Edel-Reizker, Flockenstieliger Hexenröhrling und Parasol dürften aber wenigen bekannt sein und landen wohl eher selten beim Ausflug in Wald und Wiesen im Sammelkorb – obwohl sie ebenfalls leckere Speisepilze sind. Viele Fungi, so der Fachbegriff, sind kaum oder gar nicht sichtbar. Dabei ist der größte Pilz mit 600 Tonnen Gewicht sogar das größte und schwerste Lebewesen der Erde. Wissenswertes über die Lebewesen, die weder Pflanzen noch Tiere sind, ist nicht nur spannend, sondern manchmal auch lebensrettend.

Wanderschuhe schnüren, Körbchen und kleines Messer schnappen und schon kann es mit dem Pilzesuchen losgehen. Die kleinen, oft „behüteten“ Stängel sind mit wachem Auge schließlich überall auf dem Waldboden, auf Wiesen und selbst in Parks zu finden. So ist der Korb schnell voll, ein leckeres Gericht in der Pfanne einfach zubereitet. Ganz so clever und vor allem so gesund ist diese Vorgehensweise aber nicht. Denn nur die wenigsten Arten sind überhaupt schmackhaft, viele ungenießbar oder gar giftig. 

Was ist ein Pilz?

Wissenschaftler schätzen, dass es weltweit 2,2 bis 3,8 Millionen Arten von Pilzen gibt. Mit dieser Vielfalt übertreffen sie die Pflanzenwelt um etwa das Sechs- bis Zehnfache. Bekannt und wissenschaftlich beschrieben sind bisher nur etwa 120.000 Pilzarten. Dank der molekulargenetischen Analysen wird sich die Zahl der definierten Arten schätzungsweise verzehnfachen. Ungefähr 1500 neue Arten kommen jedes Jahr hinzu. Es ist also kein Wunder, dass es bei dieser riesigen Menge, den Neuentdeckungen und auch wegen der klimatischen Veränderungen Fachleute braucht.

Einer dieser Fachleute ist Dieter Gewalt. Der langjährige Pilzsachverständige beschäftigt sich seit über 60 Jahren mit den Bodenorganismen, die noch bis etwa zu den 1950er Jahren zu den Pflanzen gezählt wurden. „Sie sind aber weder Tiere noch Pflanzen, da sie weder Organismen konsumieren noch etwas aus Anorganischem produzieren“, erklärt Gewalt. Pilze sind der dritte Organismenbereich und zählen zu den sogenannten Destruenten. „Statt Pflanzen oder Tiere zu fressen oder aus Anorganischem durch Fotosynthese Biomasse herzustellen, verwandeln Pilze abgestorbenes organisches Material wieder zurück in anorganisches.“ Was beinahe schon nach einem biologischen Grundstudium klingt, liegt Pilzfachmann Gewalt am Herzen, um ein Grundverständnis für die selten wahrgenommenen und häufig unterschätzten Organismen zu bekommen.

Größtes Lebewesen der Erde
Er ist quasi nicht sichtbar, was bei dieser enormen Größe und dem Gewicht unvorstellbar erscheint. Doch im US-amerikanischen Malheur National Forest, Oregon, wurde 1998 das bisher größte bekannte Exemplar eines Pilzes entdeckt, der auch als das größte Lebewesen der Erde gilt. Per DNA-Analyse wurde festgestellt, dass dieser Dunkle Hallimasch eine Größe von ungefähr 9 Quadratkilometern (965 Hektar oder 1200 Fußballfelder) und ein Gewicht von 600 Tonnen hat. Wissenschaftler schätzen sein Alter auf 2400 Jahre. Der größte Teil des Organismus, nämlich seine sogenannten Fadengeflechte, fachsprachlich Myzelien, wächst unterhalb der Erde. Die Fruchtkörper dieser Pilzart sind nur mit einer Kochzeit von mindestens acht Minuten essbar, aber nicht alle Menschen vertragen sie.

Das richtige Sammeln

Der meist oberirdische Teil eines Pilzes, der sogenannte Fruchtkörper, ist nur ein Bruchteil des gesamten Organismus, der im Wesentlichen ein weit verzweigtes Fadengeflecht im Boden oder Substrat ist. Der Fachbegriff lautet Myzel. Aufgenommene Nährstoffe werden durch Abgabe von Enzymen aufgespalten und für das Wachstum verfügbar gemacht. Da die Bäume ihren Stoffwechsel im Herbst herunterfahren und überschüssige Energie abgeben, sprießen die Pilze beziehungsweise deren Fruchtkörper zu dieser Jahreszeit sprichwörtlich aus dem Boden. Doch der Nährstoffaustausch läuft fast über das gesamte Jahr. „Und auch von Wiesen, Laub, Nadelstreu und Totholz ernähren sich Pilze“, erläutert Gewalt. So gibt es zu allen Jahreszeiten die Fruchtkörper zu sammeln – nur eben nicht alle und einige nur an bestimmten Stellen.

Leichte Vitamin- und Genussbringer
Wildpilze sind sehr kalorienarm: 100 Gramm haben meist zwischen 10 bis 20 Kilokalorien und bestehen zu etwa 90 Prozent aus Wasser. Ihr Fettgehalt liegt unter einem Prozent, der Eiweißanteil bei 2 bis 4 Prozent. Zudem sind sie Lieferant von Vitaminen, allen voran B1 und B2. Einige bieten zudem noch Vitamin D. Ebenfalls sind die meisten Exemplare reich an Mineralien wie Kalium und Phosphor sowie an Ballaststoffen und gesundheitsfördernden Eiweißbausteinen. Und natürlich sind essbare Wildpilze sehr aromatisch. Insbesondere enthalten Pilze Stoffe, die das Immunsystem stärken. Von wenigen Ausnahmen wie dem Champignon abgesehen sind alle Pilze unzureichend erhitzt oder roh genossen unverträglich oder sogar giftig. Außerdem verursachen sie immer wieder Vergiftungen, wenn sie überständig, also bereits leicht gammelig, oder unzureichend erhitzt verzehrt werden. Dabei handelt es sich nicht um eine echte Pilzvergiftung, sondern um eine Vergiftung aufgrund verdorbener Lebensmittel.

Eine Garantie, um Pilze zu finden, hat Gewalt zwar nicht parat, aber ein guter Landregen erhöhe die Chancen, dass man etwa drei bis fünf Tage danach gute Funde macht. So ein passabler Landregen war in den vergangenen drei Jahren selten der Fall. Dafür war es extrem trocken, was in erster Linie dem Wald stark zu schaffen macht. Den beobachtet und kennt Gewalt seit seiner Kindheit intensiv. „So etwas wie in den vergangenen Jahren habe ich noch nie erlebt. Sonst reguliert sich der Wald durch ein Mastjahr alle sechs, sieben Jahre. Nun haben wir das vierte Mastjahr in Folge. Die Bäume merken, dass es ihnen schlecht geht und versuchen, mehr Nachwuchs zu bekommen“, zeigt sich der Pilzfachmann besorgt, genauso wie über eine andere Entwicklung: Hohes Gras und wuchernde Vegetation an den Wegesrändern würden die Waldeingänge regelrecht verschließen.

Tipp: Pilze sollten immer luftig transportiert werden. Nehmen Sie daher am besten luftdurchlässige Körbe zur Suche mit. Darin legen Sie die Pilze locker nebeneinander, sodass sie nicht gequetscht werden und sich dadurch schnell zersetzen.

Pilze besiedeln die unterschiedlichsten Lebensräume. Manche bevorzugen Nadelwälder, andere sind in Laubwäldern zu Hause. Manche leben in Symbiose mit ganz bestimmten Bäumen, andere kommen in allen Waldgesellschaften vor. Parkanlagen oder Friedhöfe sind Biotope, die wegen ihrer Vielfalt an Baumarten oft ein ebenso vielfältiges Pilzwachstum hervorbringen können. Laub- und Mischwälder versprechen gute Fundchancen. An deren Waldrändern und Waldwegen findet sich beispielsweise der sehr würzige und bis 25 Zentimeter große Riesenschirmling, Parasol genannt, im Waldinneren der markant rotbraune und beim Anschnitt sich blau verfärbende Flockenstielige Hexenröhrling, der – anders als sein Name vermuten lässt – zu den besten Speisepilzen überhaupt zählt. Um ihn nicht nur zu finden, sondern auch sicher zu erkennen, genügt allerdings weder die Anfrage bei einer Suchmaschine noch ein Bestimmungsbuch.

Tipp: Pilzesammeln ist nur für den Eigenbedarf und in vielen Gebieten nur bis ein Kilogramm pro Tag und Person erlaubt. Ein weiterer Faktor ist die Strahlenbelastung, denn einige Pilze wie Maronenröhrlinge nehmen Schadstoffe wie radioaktives Cäsium-137 auf. Eine interaktive Karte vom Umweltinstitut München zeigt aktuelle Belastungen von Waldprodukten. Einige Arten gelten darüber hinaus gesetzlich als „besonders geschützt“, weshalb unter anderem alle Trüffelarten sowie Saftlinge, Kaiserlinge und Grünlinge nicht gesammelt werden dürfen.

Beratung und Hilfe

Wie bei jedem neuen Gebiet, mit dem man sich beschäftigen will, ist viel Lesen und Lernen wichtig. Bei Pilzen kommen weitere Aspekte und Sinneseindrücke dazu. Aus diesem Grund hält Gewalt ein aktuelles Bestimmungsbuch zwar für eine gute Orientierung, zu einer sicheren Bestimmung aber führt es nicht. Auch Apps könnten kaum zur verlässlichen Klarheit über das Fundstück führen. „Pilze sind in ihrer Erscheinung sehr variabel. Dinge wie Geruch, Optik und Haptik spielen eine große Rolle. Pflanzen sind da konstanter.“

Trüffel: tiefes Wachstum, hohe Preise
Diese Delikatesse zählt zu den teuersten Lebensmitteln der Welt. Der golfballgroße, knollige Pilz hat eine rindenartige Außenhaut und bildet ein hartes, marmoriertes und geschmacklich sehr intensives Fleisch. Die circa 160 Arten gehen Verbindungen mit den Feinwurzeln ihrer Wirtspflanzen ein, über die sie Nährstoffe gewinnen. Sie wachsen ausschließlich unter der Erde und bilden sogar ihre Fruchtkörper unterirdisch. Meist sind es Laubbäume, mit denen Trüffel eine Symbiose eingehen, weshalb es in den größten Trüffelgebieten Piemont und Toskana (Italien), Périgord (Frankreich) sowie Istrien (Kroatien) und Neuseeland Plantagen mit speziellen Sorten von Buchen, Eichen und Haseln gibt. Entscheidend fürs Wachstum ist ein alkalischer, mergel- oder kalkhaltiger sowie gut belüfteter und sonnenbeschienener Boden. Da die Sporen nicht durch die Erdschicht gelangen, sind Trüffel für die Verbreitung auf Tiere wie Wildschweine und die Trüffelfliege angewiesen.
Auf Messen und Auktionen erzielen Trüffel bei wohlhabenden Liebhabern Preise von mehreren Hundert bis mehreren Tausend Euro pro Kilogramm. Mit den Spaten losziehen und einfach losbuddeln ist selbst in den Haupterntezeiten Frühjahr und Herbst selten erfolgsversprechend und meist verboten. In der Regel muss eine Prüfung absolviert und eine entsprechende Berechtigungskarte erworben werden. In Deutschland sind Trüffel streng geschützt und dürfen nicht gesammelt werden.

Vereine, Pilzsachverständige und Gesundheitsämter bieten Beratungen und Veranstaltungen an. Gewalt bedauert, dass es immer weniger Angebote vor Ort gibt. Dafür sind die Informationen im Internet immer besser geworden. Gewalt selbst betreibt einen umfangreichen und ständig aktualisierten Webauftritt, berät im Frankfurter Gesundheitsamt und bietet regelmäßig Führungen an. Am besten, so Gewalt, sei es, sich mit Gleichgesinnten zusammenzufinden und an Pilzführungen teilzunehmen. Dabei entdeckt man zumindest einige verschiedene Pilze, wenngleich nicht alle im Körbchen landen. Aber auch ohne einen essbaren Pilz gefunden zu haben, lohnt sich die Suche. „Bessere Luft, kühle Umgebung und beruhigende Wirkung, das alles bietet nur der Wald“, sagt Gewalt. Und die Suche nach Pilzen toppt das noch. „Weil man zielgerichtet erkundet und dabei völlig die Zeit und den Stress vergisst.“

Tipp: Testen Sie gefundene Speisepilze immer auf ihren optischen und inneren Zustand. Kleine graue oder weiße Flecken deuten auf Schimmel hin. Löcher in Stiel oder Hut sind Anzeichen für Maden. Das Andrücken des Huts sollte sich fest anfühlen. Entsteht dabei eine Delle, hat die Eiweißzersetzung begonnen. Im Zweifel suchen Sie eine Pilzberatung oder einen Sachverständigen auf. Eine Liste dazu bietet die Deutsche Gesellschaft für Mykologie.

Ist das Körbchen voll, ist der kritische Blick bei aller Freude über die Bodenschätze unverzichtbar. „In meinen Pilzberatungen sind weniger giftige Pilze das Problem, sondern vielmehr gammelige Pilze. Die sind dann entweder von Schimmel oder Maden befallen oder die Eiweißzersetzung hat bereits begonnen“, erklärt der Sachverständige. So gebe es auch mehr Vergiftungen durch schlechte als durch wirklich giftige Pilze. Am besten prüft man das bereits am Fundort. „So wie man Obst und Gemüse mit genauem Blick einkauft, so sollte man auch die Qualität bei Pilzen beurteilen.“ Im Zweifel belasse man dann den Pilz im Boden, sodass er noch Sporen freisetzen und sich verbreiten kann.

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Andreas Einbock ist seit November 2015 Redakteur bei verbraucherblick. Seine Schwerpunkte sind Finanzen, Technik und Energie – und natürlich das Sparen, weshalb er die meisten Spartricks selbst testet. Zuvor hat er für eine Sonntagszeitung, einen Industrieverband und eine Industrie- und Handelskammer geschrieben.