20. Februar 2022

Sind wir nicht die Bank?

Mal ehrlich: Wann sind Sie das letzte Mal in einer Bankfiliale gewesen? Oder geht es Ihnen ähnlich wie mir und Sie sind nur bis zum Vorraum vorgedrungen, um sich an einem Automaten Bargeld zu ziehen? Das Hauptmotiv der meisten Verbraucher für den Bankbesuch ist heute schon die Self-Service-Aktivität. Eigenständig und ohne jegliche menschliche Interaktion Geld einzuzahlen, abzuheben, den Kontoauszugsdrucker oder das Überweisungsterminal zu nutzen.

Bis 2030 sollen mehr als 90 Prozent aller Überweisungen sowieso online erfolgen. Brauche ich da heute überhaupt noch eine Bankfiliale? Das schon vor Jahrzehnten eingesetzende Filialsterben sorgte zudem dafür, dass mein Weg zu einer Filiale immer weiter wurde. Dann drehen fast alle Banken an der Gebührenschraube. Also warum nehme ich dann nicht gleich alle meine Bankgeschäfte in die eigene Hand? Vielleicht kommen Ihnen bei diesem Gedanken Bedenken, wo man nun die Produktberatung herbekommt? Schließlich geht es bei Fragen der Geldanlage und Altersvorsorge um komplexe Finanzfragen.

In der Tat wünschen sich hierbei noch viele die persönliche Beratung des Experten. Doch mal Hand aufs Herz: Werden Sie in einer Filiale beraten? Oder ist es doch eher ein Verkaufsgespräch? Bankberater empfehlen in der Regel meist eigene und teure Produkte. Sie verdienten sogar mit den Finanzprodukten am meisten, mit denen Verbraucher später einmal Schiffbruch erlitten haben, beispielsweise Lehman-Zertifikate oder Schifffonds. Wenn meine Bank aber feststellt, dass sie an mir nichts mehr verdient, dann droht der Rausschmiss. Wehe, ich bekomme auf einmal zu viele Zinsen und Boni auf meinen alten Prämienspar- oder einen Bausparvertrag. Dann wird erst herausberaten, herausgedrängt und, wenn das alles nicht klappt, einfach rausgeworfen, also mein Vertrag einfach gekündigt.

Der Ton ist rauer geworden und viel Vertrauen verlorengegangen. Solange mich in der Filiale nur eine kleine teure Produktpalette erwartet und mir nur ein Verkäufer gegenübersitzt, besteht kein Anreiz, sie überhaupt zu betreten. Fonds in der Filiale kosten oft das Zehnfache von dem, was ich bei einer Direktbank dafür bezahle. Bin ich meine eigene Bank, spare ich nicht nur Geld. Ich mache mich schlau, vergleiche Angebote, lese Testberichte und lerne aus den Fehlern anderer. Mein Motto: Nehmen Sie Ihre Geldanlage lieber selbst in die Hand! 

Dr. Annabel Oelmann ist seit April 2016 Vorständin der Verbraucherzentrale Bremen. Zuvor leitete sie sieben Jahre lang u.a. die Gruppe Finanzen und Versicherungen der VZ Nordrhein-Westfalen. Ihre Themenschwerpunkte sind Geldanlage, Kredite, Versicherungen und Altersvorsorge.