11. Oktober 2017

Wie gefährlich ist Diesel?

© LanaElcova/Shutterstock.com

Wer einen Diesel fährt, verfolgt zurzeit nicht gerne Nachrichten. Immer deutlicher wird der Betrug der Autoindustrie, deren Fahrzeuge zwar auf dem Prüfstand sauberer geworden sind, aber auf der Straße die Grenzwerte für schädliche Emissionen um ein Vielfaches überschreiten. Doch was genau ist das Problem? Warum sind Stickoxide so gefährlich für die Gesundheit und wie können sie in Dieselfahrzeugen neutralisiert werden?

Im Herbst 2015 begann sie: die Diesel-Abgasaffäre. In den USA wurde bekannt, dass der Hersteller VW in seine Dieselfahrzeuge einen Mechanismus eingebaut hatte, der im Prüflabor optimale Abgaswerte suggerierte, aber auf der Straße ganz pragmatisch abgeschaltet wurde. Mittlerweile ist klar: VW ist in „bester“ Gesellschaft. Nahezu alle Diesel-Pkw, die momentan auf der Straße rollen, stoßen im Normalbetrieb deutlich mehr schädliche Emissionen aus als erlaubt.

Warum sind die Abgase so schlimm?
In der öffentlichen Debatte geht es um Stickoxide, genauer gesagt um Stickstoffmonooxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2). Zusammengefasst werden sie als Stickoxide (NOx) bezeichnet. Die Gase greifen die Schleimhäute an und können zu Entzündungen führen. Teilweise reagieren NOx an der Luft zu Salpetersäure (HNO3). Wer diese einatmet, verätzt sich die Lunge. Langfristig kann das Einatmen von hohen NOx-Konzentrationen zu Atemnot, Asthma und Lungenkrebs führen. Auch die Lebenserwartung sinkt. Das haben Wissenschaftler in vielen Studien belegt. Daher gelten Grenzwerte für den Anteil an Stickoxiden in der Luft. Welche gesundheitlichen Folgen es nach sich ziehen kann, wenn diese nicht eingehalten werden, haben Wissenschaftler im Mai 2017 im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht. Ihren Berechnungen zufolge könnten allein im Jahr 2015 weltweit rund 38.000 frühzeitige Tode darauf zurückzuführen sein, dass Dieselfahrzeuge die gesetzlichen Abgaswerte nicht einhalten.

Welche Grenzwerte gelten?
Seit 2010 gibt es einen Jahresmittelwert an NO2, der EU-weit nicht überschritten werden darf. Dieser liegt bei 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft. Einzelne Spitzen sind zwar gestattet, aber um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, muss der Grenzwert im Schnitt eingehalten werden. Dafür sind die Abgase von Dieselfahrzeugen entscheidend. „Sie sind für fast drei Viertel aller Stickoxide verantwortlich“, erläutert Barbara Metz, stellvertretende Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Je neuer das Auto ist, desto niedriger ist der erlaubte Maximalwert, den es an NOx ausstoßen darf. Fahrzeuge, die ab dem 1.9.2015 zugelassen wurden, entsprechen der Euro-6-Norm. Sie dürfen maximal 80 Milligramm NOx pro Kilometer ausstoßen. Fahrzeuge, die zwischen dem 1.1.2011 und dem 31.8.2015 zugelassen wurden, entsprechen der Euro-5-Norm und dürfen maximal 180 Milligramm NOx pro Kilometer ausstoßen. Noch ältere Fahrzeuge bezeichnet man als Euro-4, Euro-3 und so weiter. Deren Grenzwerte sind noch höher.

Warum sind vor allem Diesel betroffen?
Im Dieselmotor wird der Kraftstoff bei deutlich höheren Temperaturen verbrannt als im Ottomotor. Außerdem hat Diesel eine andere Zusammensetzung als Benzin. Aus diesen Gründen entstehen andere Abgase. Deshalb stößt ein Dieselmotor zwar weniger klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) aus als ein gleich motorisierter Benziner, aber eben deutlich mehr Stickoxide.

Wie stark werden Grenzwerte überschritten?
An mehr als der Hälfte aller Messstationen in Deutschland wird der NO2-Grenzwert regelmäßig überschritten. In Stuttgart beträgt der Höchstwert mit 82 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft im Durchschnitt mehr als das Doppelte des erlaubten Werts. Auch in 70 anderen Städten, darunter Hamburg, Düsseldorf, Köln und München, sind die Werte deutlich erhöht. Tagesaktuelle Werte zeigen die Karten zur Luftschadstoffbelastung des Umweltbundesamtes (UBA).

Warum gibt es keine Filter gegen Stickoxide?
Im Gegensatz zu Feinstaub kann man NOx nicht einfach filtern. Feinstaub besteht aus einem Gemisch feiner fester und flüssiger Partikel. Mit geschlossenen Partikelfiltern kann man dieses gut einfangen. Wenn Autos damit ausgerüstet sind, haben sie eine grüne Plakette und dürfen in die Umweltzonen von Städten einfahren. Barbara Metz bestätigt: „Die Feinstaubfilter, die seit der DUH-Kampagne ,Kein Diesel ohne Filter ̒ serienmäßig verbaut werden, sind effektiv. Durch die Filter werden die Grenzwerte für Partikel auch im normalen Betrieb eingehalten. Bei NOx passiert das leider nicht.“

Wie viel NOx stoßen Pkw aus?
Messungen des UBA zeigen, dass die aktuelle Dieselflotte sich nur auf dem Prüfstand in einer Werkstatt an die Grenzwerte hält. Doch auf der Straße stoßen die Euro-6-Diesel im Schnitt sechsmal so viele Stickoxide aus wie erlaubt. Die Euro-5-Diesel fünfmal so viele. In absoluten Zahlen heißt das: Mehr als sechs Millionen Fahrzeuge (Euro-6) produzieren im Durchschnitt etwa 500 Milligramm NOx pro Kilometer. Fast 13,5 Millionen Pkw (Euro-5) stoßen im Durchschnitt etwa 900 Milligramm NOx pro Kilometer aus. In Einzelfällen überschreiten Fahrzeuge die Grenzwerte um mehr als das 17-Fache, zeigen Messungen der DUH. Deutlich wird aber auch, dass manche Modelle im Alltagsbetrieb die Grenzwerte einhalten. Wirksame Abgasreinigung ist also möglich.

Wie werden Stickoxide neutralisiert?
Damit ein Dieselfahrzeug weniger Stickoxide ausstößt, gibt es drei Methoden, die auch miteinander kombiniert werden können:

1. Abgasrückführung (AGR): Das Gas wird in den Motor zurückgeführt.
2. NOx-Speicherkatalysator: Das Gas wird in einem separaten Tank gesammelt. Wird daraus die Luft abgesaugt, reagieren die Stickoxide zu weniger schädlichem Stickstoff (N2) und Kohlendioxid (CO2).
3. SCR-Katalysator mit Harnstoffeinspritzung: Im Auspuff wird dem Gas bei einer bestimmten Temperatur eine Harnstoff-Lösung (genannt AdBlue) zugespritzt. Damit reagieren die Stickoxide zu weniger schädlichem Stickstoff (N2) und Wasser (H2O).

Der SCR-Katalysator gilt als besonders zuverlässig und sauber. Er ist daher in vielen Euro-6-Fahrzeugen verbaut. Damit möglichst wenig Stickoxide mit den Abgasen ausgestoßen werden, muss immer genügend Harnstoff-Lösung vorhanden sein. Die dafür nötigen Tanks fallen bei den meisten Herstellern allerdings zu klein aus.

Warum sind die Tanks so klein?
Die Hersteller-Argumente lauteten: Ein größerer Tank hätte zu viel Platz eingenommen. Stattdessen wurde die Einspritzung der Harnstoff-Lösung im Alltagsbetrieb gedrosselt. Alternativ hätte man die kleinen Tanks so verbauen können, dass der Fahrer sie bei Bedarf selbst nachfüllen kann. So ist es beispielsweise auch bei Motoröl und Scheibenwischwasser. Dass dies nicht gemacht wurde, begründet die Autoindustrie damit, dass sie den Fahrern das Nachfüllen der klebrigen Harnstoff-Lösung nicht zumuten wollte. Wann und wo Fahrverbote für Dieselfahrzeuge kommen werden und wie genau diese dann umgesetzt werden, wird derzeit noch diskutiert. Dass sich aber etwas ändern muss auf den Straßen und in den Dieselmotoren, das wurde in den vergangenen Monaten relativ deutlich.

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