8. Dezember 2015

Mehr Zeit fürs Wesentliche. Wege aus der Stressfalle

© Stokkete/Shutterstock.com
Schaffen Sie immer alles, was Sie sich vornehmen? Bringen Job, Familie und Freizeit entspannt unter einen Hut? Dann gehören Sie zu einer glücklichen Minderheit. Einem Großteil der Deutschen geht es Studien zufolge anders. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, keine oder zu wenig Zeit zu haben, sie fühlen sich gestresst, gehetzt und ständig unter Druck. Was dagegen hilft: Prioritäten setzen, Aufgaben planen – und ab und zu mal Pause machen.

Jedem von uns stehen täglich 24 Stunden zur Verfügung, jeden Tag aufs Neue. Das war schon immer so und doch haben wir immer mehr das Gefühl, dass es uns an Zeit mangelt. Ein Grund dafür: Unser Alltag wird immer schneller, mit immer mehr Technik, immer mehr Möglichkeiten, immer mehr Aufgaben und Terminen. Und weil wir unser Zeitbudget nicht überziehen können, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns selbst zu ändern – unsere Einstellungen, unsere Gewohnheiten, unseren Umgang mit der Zeit. Experten sprechen deshalb heute eher von Lebens- als von Zeitmanagement oder bringen beide Begriffe eng miteinander in Verbindung.

Einer dieser Experten ist Lothar Seiwert. Er hat zahlreiche Bücher über Zeit- und Lebensmanagement geschrieben und ist überzeugt: Jeder kann lernen, gelassener mit Terminen und drängenden Aufgaben umzugehen und so wieder mehr Zeit für das Wesentliche gewinnen. Entscheidend dabei sei, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, gut zu planen – und auch mal „Nein“ zu sagen.

Prioritäten setzen: Das Wichtigste zuerst

Ins Kino oder endlich die Steuererklärung in Angriff nehmen? In der Mittagspause schnell ein paar Besorgungen machen oder doch lieber mit den Kollegen beim Essen das nächste Projekt besprechen? Alles können wir nicht schaffen – also müssen wir Prioritäten setzen. Besser, als sich hektisch und planlos in eine Unzahl von Aktivitäten zu stürzen ist es, sich einen Moment Zeit zu nehmen und zu überlegen. Muss das wirklich sofort sein? Kann das warten? Kann ich vielleicht sogar ganz darauf verzichten?

Die Grundregel beim Prioritäten setzen: Das Wichtigste zuerst, das Unwichtigste zuletzt – oder gar nicht. Doch woran erkennt man, was das Wichtigste ist? Nicht alles, was dringend und eilig ist, ist auch wichtig – und umgekehrt. Die Steuererklärung zum Beispiel ist wichtig, aber nicht dringend. Sie kann auch noch nächste Woche erledigt werden. Ist dagegen der TÜV von Ihrem Auto abgelaufen, müssen Sie sich dringend darum kümmern. Große Bedeutung für Ihr Leben hat diese Erledigung allerdings nicht.

Wissen, was wichtig ist

Wer herausfinden möchte, wo seine Prioritäten liegen, kann in zwei Schritten vorgehen. Zunächst schreiben Sie zehn Dinge auf, die Sie jeden Tag tun – von Einkaufen über E-Mails checken bis zum Fernsehen. Dann nehmen Sie diese Tätigkeiten genauer unter die Lupe und fragen sich:

  • Bringt mich das meinen Zielen und Träumen näher?
  • Hat es negative Konsequenzen, wenn ich es nicht tue?
  • Ist es wirklich wichtig oder nur eilig?
  • Würde ich das auch machen, wenn ich nur noch die Hälfte meiner Zeit zur Verfügung hätte?
  • Macht mich das glücklicher, zufriedener und kreativer?

Je mehr Fragen Sie mit Ja beantworten, desto wichtiger ist diese Tätigkeit für Sie – und umso höhere Priorität hat sie. Wichtig: Jeder Mensch hat unterschiedliche Bedürfnisse und damit auch unterschiedliche Prioritäten. Achten Sie darauf, dass nicht nur berufliche Dinge oder andere Verpflichtungen ganz oben auf Ihrer Liste landen. Wenn Sie regelmäßige Treffen mit Freunden oder Sport brauchen, damit Sie sich wohl fühlen, nehmen Sie sich dafür ausreichend Zeit. Wer seine Prioritäten kennt und weiß, was er will, kann seine Zeit sinnvoll nutzen und vertrödelt sie nicht mit Nebensächlichkeiten. 

Gut planen und Freiräume lassen

Entscheidend für ein funktionierendes Zeitmanagement ist die richtige Planung. Nehmen sie sich dafür jeden Tag ein paar Minuten Zeit, auch wenn es lästig ist. „Die Erfahrung zeigt: Wenn Sie jeden Tag acht Minuten in Ihre Planung investieren, können Sie bis zu einer Stunde Zeit sparen“, schreibt Lothar Seiwert in seinem Buch „Simplify your Time – Einfach Zeit haben“. Wichtig dabei ist das richtige Maß. Jede Minute des Tages zu verplanen, ist genauso falsch, wie alles auf sich zukommen zu lassen. Der Experte rät, nur 50 Prozent seiner Zeit zu verplanen und den Rest für Unvorhergesehenes zu reservieren. So können wir auf Störungen flexibel reagieren und geraten nicht gleich unter Druck, wenn eine Aufgabe länger dauert als geplant, das Auto nicht anspringt oder der Computer mal wieder zickt.

Tipps für eine gute Zeitplanung

  • Klassischer Terminkalender auf Papier oder lieber digital? Wählen Sie für Ihre Planung ein Instrument, das Ihren Bedürfnissen entspricht – und gestalten Sie die Planung so einfach wie möglich. Komplizierte Systeme werden schnell zu Zeitfressern und bergen die Gefahr, dass man sich verzettelt oder die Lust verliert.
  • Verschaffen Sie sich einen Überblick über den Zeitbedarf verschiedener Tätigkeiten. Wie lange brauchen Sie, um das Frühstück oder einen Termin vorzubereiten, Ihre Mails zu beantworten? Seien Sie dabei realistisch: Die meisten Menschen überschätzen, was sie in einem bestimmten Zeitraum schaffen können.
  • Notieren Sie alle Aufgaben schriftlich, in einer To-do-Liste oder in Ihrem Kalender. Achten Sie darauf, dass nicht nur Eiliges und Dringendes auf der Liste landet, sondern auch Wichtiges, das Sie Ihren langfristigen Zielen näherbringt. Tragen Sie auch Zeit für sich selbst als festen Termin ein – und streichen sie alles, was Sie erledigt haben, genüsslich durch.
  • Planen Sie jeden Tag Zeit ein, in der sie Unerledigtes oder Liegengebliebenes erledigen. Geben Sie Aufgaben, die Sie nicht sofort erledigen, einen festen Termin, und teilen Sie größere Projekte in kleine, überschaubare Schritte auf.
  • Ziehen Sie am Ende eines Tages, einer Woche, eines Monats Bilanz: Was haben Sie geschafft? Was ist liegengeblieben, wo haben Sie sich übernommen? Lassen Sie die Erfahrung in Ihre zukünftige Planung einfließen.

Weniger ist mehr: Ballast abwerfen

Endlich wieder mehr Zeit haben. Das geht am besten, wenn wir unnötigen Ballast abwerfen. Dazu gehört zum Beispiel, Zeitfresser aufzuspüren und sinnlose Aufgaben rigoros aus dem Terminkalender zu streichen, also Dinge, die weder eilig noch wichtig sind. Wir sollen lieber weniger Dinge tun, die aber dafür besser, rät Lothar Seiwert – und empfiehlt, nicht nur eine To-do-Liste, sondern auch eine Not-to-do-Liste zu führen. Hier landen alle Dinge, die wertvolle Zeit verbrauchen und auf die man zukünftig bewusst verzichten will.

Wer sich von Ballast befreien möchte sollte auch lernen, Nein zu sagen: Nein zu Überstunden oder Zusatzaufgaben, wenn man sowieso schon am Limit ist, Nein zur Bitte, einen Kuchen für den Kindergarten zu backen, wenn es gerade andere Prioritäten gibt. Das kann am Anfang schwer sein – aber wer seine Verweigerung sachlich vorträgt und begründet, verschafft sich nicht nur Luft und Zeit, sondern auch Respekt.

Delegieren und fokussieren

Wenn Sie schon dabei sind, verabschieden Sie sich auch vom Drang zum Perfektionismus und der Vorstellung, alles selbst machen zu müssen. Viele Aufgaben lassen sich delegieren. Gerade Dinge, die uns nicht liegen, kosten viel Zeit und Energie. Spannen Sie also Ihre Familienmitglieder für die Hausarbeit mit ein, engagieren Sie eine Reinigungskraft oder einen Fensterputzer, wenn Ihnen die Hausarbeit lästig ist. Und leben Sie damit, dass nicht immer alles perfekt ist. Das sogenannte Pareto-Prinzip besagt, dass wir in 20 Prozent der Zeit 80 Prozent der Ergebnisse erzielen. Um die verbleibenden 20 Prozent zu erledigen und somit auf 100 Prozent zu kommen, müssen wir im Umkehrschluss 80 Prozent der Zeit aufbringen – also unverhältnismäßig viel. Das Prinzip ist auch als 80-zu-20-Regel bekannt und geht auf Vilfredo Pareto zurück, einen italienischen Volkswissenschaftler aus dem 19. Jahrhundert.

Ebenfalls ein Zeitfresser ist das Multitasking. Jahrelang galt es als effektiv und zeitsparend, möglichst viele Dinge parallel zu erledigen. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen belegen jedoch das Gegenteil. Beim Multitasking steigt die Fehlerquote, Aufmerksamkeit und Reaktionsgeschwindigkeit nehmen ab. Der Grund: Wir können uns nicht auf mehrere Dinge gleichzeitig gut konzentrieren. Unter dem Strich brauchen wir länger, weil unser Gehirn mit dem Versuch, alles gleichzeitig zu tun, überfordert ist. Produktiver und entspannter ist es, Dinge nacheinander zu erledigen.

Mach mal Pause!

Ein schneller Kaffee unterwegs, ein Biss ins Brötchen zwischen zwei Telefonaten – in Stresszeiten fällt eine richtige Pause oft aus. Sie gilt als Zeitverschwendung, und viele arbeiten lieber durch, um möglichst viel zu schaffen. Doch das ist falsch, meint Experte Seiwert. Jeder Mensch hat nur begrenzte Energien, und ohne regelmäßige Auszeiten fällt die Leistungskurve schnell ab. In Pausen tanken wir neue Energie und Kraft; sie machen uns unter dem Strich leistungsfähiger und effektiver. Wer sich Freiräume nimmt, steigert nicht nur sein Wohlbefinden, sondern auch seine Belastbarkeit.

Pausen macht man am besten dann, wenn man noch nicht völlig erschöpft ist und noch Reserven hat. Im Schnitt brauchen wir alle 90 bis 120 Minuten eine Auszeit. Generell gilt: Je anstrengender und anspruchsvoller eine Tätigkeit ist, desto öfter ist eine Auszeit nötig. Und viele kleine Pausen bringen mehr als eine große. Außerdem fällt es nach einer nur kurzen Unterbrechung leichter, wieder in die Arbeit zurückzufinden. Wichtig für eine sinnvolle Pause ist es, bewusst abzuschalten und die Arbeit komplett zu unterbrechen. Verlassen Sie dazu, wenn möglich, kurz Ihren Arbeitsplatz. Sorgen Sie dafür, dass Sie einen Ausgleich zu Ihrer Tätigkeit schaffen: Wenn Sie körperlich arbeiten, ruhen Sie sich einen Moment aus, wenn Sie viel am Schreibtisch sitzen, bewegen Sie sich. Stehen Sie auf, gehen Sie ein paar Schritte oder machen Sie einen Spaziergang. Oder legen Sie einen Moment die Füße hoch und schließen die Augen.

Kerstin Deppe

Cover der aktuellen Ausgabe von Verbraucherblick

Mehr wissen,
besser entscheiden

verbraucherblick ist ein digitales Magazin für alle, die mehr wissen wollen. Lesen Sie monatlich detaillierte und unabhängige Berichte über für Sie relevante Verbraucherthemen.