Kalte Progression Titelbild

Kalte Progression: Wenn die Gehaltserhöhung verpufft

So steht es um den Abbau der schleichenden Steuererhöhung

Die Bundesregierung hat MaĂźnahmen zum Abbau der kalten Progression beschlossen. Doch was ist das ĂĽberhaupt? Und wie wirkt sich das auf mein Geld aus?

Kurz & knapp

  • Die kalte Progression sorgt dafĂĽr, dass du trotz Lohnerhöhung weniger Nettoeinkommen hast
  • Sie trifft Geringverdiener härter als Besserverdiener
  • Zum Abbau der kalten Progression hat die Bundesregierung einige MaĂźnahmen beschlossen
  • Davon sollen insgesamt 48 Millionen BĂĽrger profitieren

Was ist die kalte Progression ĂĽberhaupt?

„Herzlichen Glückwunsch, Sie bekommen eine Gehaltserhöhung!“ – Das klingt erst einmal großartig, oder? Mehr Geld auf dem Konto, mehr finanzielle Freiheit – wer möchte das nicht? Aber hier kommt die kalte Progression ins Spiel.

Die kalte Progression ist ein Phänomen, das auftritt, wenn Einkommenssteigerungen lediglich die Inflation ausgleichen, aber keine realen Einkommenszuwächse darstellen. Gleichzeitig führt das dazu, dass Arbeitnehmer in höhere Steuerklassen rutschen und einen größeren Anteil ihres Einkommens an den Staat abgeben müssen. Man zahlt also mehr Steuern, ohne tatsächlich mehr Kaufkraft zu haben.

Kalte Progression = Weniger Nettoeinkommen trotz Lohnsteigerung 

Das bedeutet, dass du trotz deiner Gehaltserhöhung nicht in dem Maße von ihr profitierst, wie du es vielleicht erwartet hast. Du verdienst zwar mehr, aber durch die höhere Steuerlast bleibt am Ende weniger Geld für dich übrig. Die kalte Progression sorgt also dafür, dass der Anstieg deines Einkommens durch die Steuern zum Teil aufgefressen wird.

Beispiel Arbeitnehmer

Beispiel: Kalte Progression

Stefanie verdient 3.500 Euro brutto im Monat und ist in der Steuerklasse I. Von ihrem Chef erhält sie eine Gehaltserhöhung von 3 Prozent – also um 105 Euro brutto. Davon bleiben Stefanie aber netto nur 54,16 Euro – also nur 2,35 Prozent.

Der Grund für diese Differenz ist der höhere Steuersatz, den sie aufgrund des höheren Bruttoeinkommens von nunmehr 3.605 Euro bezahlen muss. Die steuerliche Belastung wächst also stärker als Stefanies Bruttoeinkommen – von 14,69 Prozent auf 15,03 Prozent.

Gleichzeitig steigen die Preise infolge der Inflation. Schon bei einer Inflationsrate von 1 Prozent bleiben von der Gehaltserhöhung nur noch 1,35 Prozent. Die aktuelle Inflationsrate von 6,4 Prozent (Juni 2023) würde eine solche Gehaltserhöhung komplett auffressen.

Wie kann ich die kalte Progression berechnen?

Hier ist eine grobe Vorgehensweise zur Berechnung der kalten Progression:

  1. Bestimme das Bruttoeinkommen vor der Lohn- oder Gehaltserhöhung.
  2. Ermittle das Bruttoeinkommen nach der Lohn- oder Gehaltserhöhung.
  3. Berechne die Differenz zwischen beiden Bruttoeinkommen.
  4. BerĂĽcksichtige die Inflationsrate im betreffenden Zeitraum.
  5. ĂśberprĂĽfe die Steuerprogressionstabellen oder Steuertarife, um den Steuersatz fĂĽr beide Bruttoeinkommen zu ermitteln.
  6. Berechne die Steuerdifferenz zwischen beiden Bruttoeinkommen.
  7. Vergleiche die Steuerdifferenz mit der Differenz der Lohn- bzw. Gehaltserhöhung und der Inflation. Eine größere Steuerdifferenz deutet auf das Vorliegen der kalten Progression hin.

Entwicklung der Inflationsrate im Ăśberblick

JahrInflationsrate in %
2023Juni: 6,4*
20226,9
20213,1
20200,5
20191,4
*vorläufig; Quelle: Destatis

Wer ist von der kalten Progression besonders betroffen?

Geringverdiener und Arbeitnehmer mit mittlerem Einkommen können stärker von der kalten Progression betroffen sein, da ihre Einkommenssteigerungen oft näher an der Grenze der Steuerklassen liegen. Grund dafür ist das deutsche Einkommensteuersystem.

Bis zum Grundfreibetrag ist das Einkommen steuerfrei. Jeder zusätzlich verdiente Euro führt bereits dazu, dass der Eingangssteuersatz von14 Prozent greift. Die Progressionskurve, die den Verlauf des Einkommensteuertarifs grafisch darstellt, steigt also steil an für niedrigere Einkommen (von 0 auf 14 Prozent), während sie für höhere Einkommen deutlich flacher verläuft.

Ab einem zu versteuernden Einkommen von 62.825 Euro pro Jahr verläuft die Progressionskurve seitwärts, da der Steuersatz konstant bei 42 Prozent (Spitzensteuersatz) bleibt. Erst wenn das zu versteuernde Einkommen 277.826 Euro erreicht, gibt es einen Sprung im Steuertarif auf den Reichensteuersatz von 45 Prozent. Die kalte Progression betrifft also Besserverdienende deutlich weniger.

Progressionskurve Einkommensteuertarif Infografik

Wird die kalte Progression abgeschafft?

In Deutschland gibt es Bestrebungen, die kalte Progression abzuschaffen oder zumindest zu mildern. Um der kalten Progression entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung das sogenannte Inflationsausgleichsgesetz auf den Weg gebracht. Damit soll die Steuerlast BĂĽrger an die Inflation angepasst werden. Darin sind einige MaĂźnahmen, die zum Abbau der kalten Progression beitragen sollen.

Wer profitiert vom Ausgleich der kalten Progression?

Kurz: Profitieren sollen alle, die Einkommensteuer zahlen. Laut Bundesfinanzministerium wären das etwa 48 Millionen Menschen in Deutschland, darunter Arbeitnehmer, Selbstständige, Rentner sowie selbsthaftende Unternehmer. Im Schnitt soll die Entlastung 192 Euro pro Person betragen. Durch die Erhöhung des Grundfreibetrages werden rund 270.000 Bürger komplett von der Einkommensteuer befreit.

Im Kampf gegen die Inflation: MaĂźnahmen zum Abbau der kalten Progression

  • Anhebung des Grundfreibetrags

    Zum 01.01.2023 wurde der Grundfreibetrag um 285 Euro angehoben und liegt bei 10.632 Euro (2022: 10.347 Euro). Im Jahr 2024 soll er auf 10.932 Euro weitersteigen.

    Wer profitiert davon?

    Davon profitieren Geringverdiener stärker als diejenigen mit einem höheren Einkommen. Denn dadurch müssen insgesamt weniger Menschen Einkommensteuer zahlen. Das betrifft auch viele Rentner – insgesamt etwa 75.000 Personen –, die vorher Steuern zahlen mussten.

  • Erhöhung des Kindergelds und des Kinderfreibetrags

    Ab 2023 beträgt das Kindergeld monatlich für das erste und jedes weitere Kind einheitlich 250 Euro. Auch der Kinderfreibetrag steigt: 2023 für jeden Elternteil beträgt er 3.012 Euro.

    Wer profitiert davon?

    Alle Familien. Die Erhöhung soll auch für einkommensschwache Familien gelten, welche keine Einkommensteuer zahlen.

  • Anpassung des Einkommensteuertarifs

    Um die kalte Progression trotz Inflation auszugleichen, sollen die sogenannten Tarifeckwerte angepasst werden. Der Spitzensteuersatz greift 2023 bei 61.972 statt bisher 58.597 Euro, 2024 soll er ab 63.515 Euro beginnen.

    Wie profitieren Personen mit einem hohen Einkommen von dem Ausgleich?

    Der Steuersatz der Einkommensteuer liegt zwischen 14 und 45 Prozent. Wer mehr verdient, muss mehr Einkommensteuer zahlen. Die Inflation trifft Geringverdiener stärker, da sie weniger finanzielle Mittel besitzen, um die gestiegenen Preise abzufedern. Der Betrag des Ausgleichs bleibt daher ab einem Einkommen von 61.972 Euro konstant. Dadurch soll vermieden werden, dass Menschen mit sehr hohem Einkommen stärker profitieren als Personen, deren Einkommen geringer ist.

FAQ: Kalte Progression

Was bedeutet „Abbau der kalten Progression“?  

Der Abbau der kalten Progression bezieht sich auf Maßnahmen zur Reduzierung der negativen Auswirkungen. Ziel ist es, Arbeitnehmern bei Lohn- oder Gehaltserhöhungen einen echten Einkommenszuwachs zu ermöglichen. Dies wird durch Anpassungen der Steuertarife und Erhöhungen von Freibeträgen erreicht. Das Ziel ist eine gerechtere Verteilung der Steuerlast und Stärkung der Kaufkraft. 
In Deutschland gibt es Bestrebungen, die kalte Progression abzuschaffen oder zu mildern. Die Bundesregierung hat Maßnahmen ergriffen, wie das Inflationsausgleichsgesetz, um der kalten Progression entgegenzuwirken. Ziel ist es, dass Arbeitnehmer bei Lohn- und Gehaltserhöhungen tatsächlich mehr Nettoeinkommen haben. Die endgültige Abschaffung oder Reduzierung hängt von politischen Entscheidungen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. 
Vor allem Menschen mit geringen und mittleren Einkommen leiden unter der kalten Progression. 
Vom Ausgleich der kalten Progression profitieren alle Einkommensteuerzahler, darunter Arbeitnehmer, Selbstständige und Rentner. Maßnahmen wie die Anpassung der Steuertarife und Erhöhung von Freibeträgen sollen sicherstellen, dass Lohn- und Gehaltserhöhungen nicht durch höhere Steuerlasten aufgezehrt werden. Das Ziel ist eine gerechtere Verteilung der Steuerlast und eine Stärkung der Kaufkraft. Zudem werden durch den erhöhten Grundfreibetrag bestimmte Personen vollständig von der Einkommensteuer befreit. 
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Quelle: BMF; Destatis, Pressemitteilung vom 29.06.2023