6. Dezember 2023 von Hartmut Fischer
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Grundsteuerbescheid: Finanzgericht setzt Bescheide außer Kraft

Grundsteuerbescheid: Finanzgericht setzt Bescheide außer Kraft

© Titiwoot Weerawong / vecteezy

6. Dezember 2023 / Hartmut Fischer

Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz (FG) hat am 23. November 2023 entschieden, dass der Vollzug von angegriffenen Grundsteuerwertbescheide wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit auszusetzen ist. (Aktenzeichen 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23).

Finanzamt legt fast doppelten Grundsteuerwert fest

In dem ersten Verfahren geht es um eine Immobilie mit 72 m², die 1880 errichtet und seit Jahrzehnten unrenoviert ist.  Für das rund 350 m² große Grundstück wurde vom zuständigen Gutachterausschuss ein Bodenrichtwert von 125,00 € / m² ermittelt (rund 44.000,00 € insgesamt). Das Finanzamt wandte dennoch den gesetzlich normierten Mietwert an und stellte den Grundsteuerwert für die gesamte Immobilie zum Stichtag 1. Januar 2022 auf 91.600 € fest.

Begründeter Abzug wird abgelehnt

Beim zweiten Verfahren geht es um ein 1.053 m² großes Grundstück mit einem 1977 erbauten Einfamilienhaus. Das Gebäude verfügt über eine Wohnfläche von 178 m². Der Bodenrichtwert für das wurde durch den zuständigen Gutachterausschuss mit 300,00 € /m² festgelegt. Der Eigentümer verlangte jedoch einen Abschlag von 30 %, weil das Grundstück aufgrund einer Bebauung in zweiter Reihe steht. Das Grundstück kann nur durch einen Privatweg erreicht werden. Außerdem ist es nach Ansicht des Eigentümers aufgrund einer besonderen Hanglage nur eingeschränkt nutzbar. Das Finanzamt nahm keinen Abschlag vor und setzte den Grundsteuerwert für die gesamte Immobilie zum Stichtag 01.01.2022 auf 318.800 € fest.

Berechnungen nach dem „Bundesmodell“

Das Finanzgericht stellte hierzu fest, dass die Grundsteuer-Bemessungsgrundlage wesentlich durch die Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 01.01.2022 vorbestimmt ist (Regelungen des „Bundesmodells“). Diese Feststellung erfolgt durch „Grundlagenbescheide“ des Finanzamts. Einwände gegen die Höhe der Bemessungsgrundlage der künftig erhobenen Grundsteuer können nur gegen die Grundsteuerwertbescheide vorgebracht werden.

Wo gilt das „Bundesmodell“ nicht?

Laut dem Bundesministerium der Finanzen haben die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen von der Öffnungsklausel Gebrauch gemacht und die Bewertung des Grundvermögens landesgesetzlich geregelt. Das Saarland und Sachsen haben die Öffnungsklausel genutzt, um vom Bundesgesetz abweichende Steuermesszahlen einzuführen.

Finanzgericht setzt Vollstreckung der Bescheide aus

Das FG setzte die Vollziehung des gegenüber den Antragstellern ergangenen jeweiligen Grundsteuerwertbescheids aus.  Nach summarischer Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der einzelnen Bescheide. Auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsregeln bestehen für das Gericht ernste Bedenken. Damit sind dies die ersten Fälle, in denen sich Steuerpflichtige mit ihren Einwänden vor einem Finanzgericht durchsetzen konnten.

Zweifel an Bodenrichtwerten

Das FG bezweifelte unter anderem, dass die Bodenrichtwerte rechtmäßig zustande gekommen sind. Zum einen hatte das Gericht ernstliche Bedenken bezüglich der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse. Nach der rheinland-pfälzischen Gutachterausschussverordnung könnten Möglichkeiten der Einflussnahme nicht ausgeschlossen werden. Außerdem hatte das Gericht ernstliche Bedenken bezüglich der für die Ermittlung der Bodenrichtwerte Datengrundlage. In den zur Ableitung der Bodenrichtwerte geführten Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse seien erhebliche Datenlücken zu befürchten. Dies könnte zu erheblichen Verzerrungen bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte führen.

Niedrigere Grundsteuerwerte zumindest möglich

Zudem müsse ein Steuerpflichtiger die Möglichkeit haben – im Einzelfall und unter bestimmten Bedingungen – einen unter dem typisierten Grundsteuerwert liegenden Grundstückswert nachzuweisen. In diesem Zusammenhang hielt es das FG für beide entschiedenen Streitfälle für möglich, dass dort jeweils wegen der einzelfallbezogenen Besonderheiten ein niedrigerer Wert anzusetzen sein könnte.

Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz vermutet

Das Finanzgericht bezweifelte zudem, dass der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ausreichend berücksichtigt wurde. So sei bereits nicht eindeutig, was der genaue Belastungsgrund der Grundsteuer sein solle und wie daher überprüft werden könne, ob die durch das Bewertungssystem erreichten Bewertungsergebnisse tatsächlich bestehende Wertunterschiede angemessen abbilden könnten.

Bewertungsgesetz realitäts- und relationsgerecht?

Das Gericht hegte auch ernstliche Zweifel daran, dass die Regelungen des Bewertungsgesetzes überhaupt geeignet seien, eine realitäts- und relationsgerechte Grundstücksbewertung zu erreichen. Insbesondere die große Zahl gesetzlicher Typisierungen und Pauschalierungen und eine nahezu vollständige Vernachlässigung aller individuellen Umstände der konkret bewerteten Grundstücke könnten nach Meinung des Gerichts zu Wertverzerrungen für den gesamten Kernbereich der Grundsteuerwertermittlung kommen. Die gewählte Regelungstechnik bewirkt nach Meinung des Gerichts eine gleichheitswidrige Nivellierung der Grundstücksbewertung. Dies führe zu systematischen Unterbewertungen hochwertiger Immobilien. Überbewertet würden dagegen Immobilien, die sich in weniger begehrten Lagen befinden, in schlechterem baulichem Zustand sind oder deren Ausstattungsmerkmale weniger hochwertig sind. Die Regelungen führten zu erheblichen Wertverschiebungen, sodass insgesamt nicht mehr von einer gleichheitsgerechten Bewertung ausgegangen werden könne.

Individualentscheidungen

Die Entscheidungen des FG betreffen zwei Einzelfälle, über die zunächst lediglich im einstweiligen Rechtsschutz entschieden wurde. Eine Aussetzung der Vollziehung der ergangenen Grundsteuerwertbescheide hat zwar zur Folge, dass auch die Vollziehung der in den Streitfällen künftig auf den 1. Januar 2025 zu erlassenden Grundsteuerbescheide von Gesetzes wegen ausgesetzt wird. Damit ist jedoch noch keine Aufhebung der angegriffenen Bescheide verbunden. Auch eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsregeln wurde damit nicht getroffen. Das FG hat insbesondere wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfragen die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen.


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