7. Juni 2021 von Hartmut Fischer
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Wohnrecht für betagte, langjährige Mieter

Wohnrecht für betagte, langjährige Mieter

© Robert Kneschke / Shutterstock

7. Juni 2021 / Hartmut Fischer

„Einen alten Baum verpflanzt man nicht“ sagt der Volksmund. Diese Weisheit machen sich immer häufiger die Gerichte zu eigen, wenn es darum geht, einen älteren, langjährigen Mieter wegen Eigenbedarf zu kündigen. Mit einem Urteil vom 25.05.2021 (Aktenzeichen 67 S 345/18) hat auch das Landgericht Berlin den Mietern den Rücken gestärkt.

Mehrmalige Kündigung einer 89jährigen

Die 67. Zivilkammer des Gerichts entschied, dass alte Menschen, die durch eine lange Mietzeit in der Umgegend der Mietwohnung verwurzelt sind, den Erhalt des Mietverhältnisses verlangen können. In dem Verfahren ging es um das Mietverhältnis einer 89-Jährigen, die bereits 1997 die Wohnung angemietet hatte. Der Vermieter kündigte der Mieterin mehrmals – erstmals 2015 – wegen Eigenbedarf. Die Mieterin und ihr inzwischen verstorbener Ehemann widersprachen den Kündigungen. Der Vermieter schlug deshalb den Klageweg ein.

Räumungsklage widersprochen

Die Mieterin und ihr mittlerweile verstorbener Ehemann widersprachen der Räumungsklage unter Verweis auf ihr hohes Alter, ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand, ihre langjährige Verwurzelung am Ort der Mietsache und ihre für die Beschaffung von Ersatzwohnraum nicht ausreichenden finanziellen Mittel.

Klage des Vermieters abgewiesen

Das Amtsgericht Mitte hatte die vom Vermieter erhobene Räumungsklage abgewiesen. Das Landgericht Berlin wies die dagegen erhobene Berufung mit der Begründung zurück, der Beklagten stehe gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB allein aufgrund ihres hohen Lebensalters ein Anspruch auf eine zeitlich unbestimmte Fortsetzung des Mietverhältnisses zu.

Bundesgerichtshof: Alter allein kein Grund

Dieses Urteil wurde jedoch im Revisionsverfahren vom Bundesgerichtshof (BGH) teilweise aufgehoben. Den Rechtsstreit verwies der BGH an das Landgericht zurück. Für den BGH reichte das hohe Alter eines Mieters ohne weitere Feststellungen zu den sich aus einer Kündigung ergebenden Folgen für den betroffenen Mieter grundsätzlich nicht aus, um eine besondere Härte festzustellen. Eine besondere Härte wäre Voraussetzung für die Fortsetzung des Mietverhältnisses. Außerdem – so der BGH –  hänge eine tiefe Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietwohnung maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters ab (Urteil vom 03.02.2021 – Aktenzeichen VIII ZR 68/19).

Aufgrund der Zurückweisung durch den BGH musste die 67. Zivilkammer das Landgerichts Berlin die Berufung der Klägerin erneut verhandeln.

Landgericht Berlin entscheidet dennoch gegen den Vermieter

Ob die von der Mieterin angeführten gesundheitlichen Einschränkungen tatsächlich derart erheblich sind, wie vom Amtsgericht angenommen, ließ das Gericht außer Betracht. Nach der Entscheidung des Landgerichts Berlin können Mieter im Einzelfall auch ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen eine Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen. Voraussetzung hierfür sind ein hohes Lebensalter und dass der Mieter aufgrund eines langjährigen Mietverhältnisses tief am Ort der Mietsache verwurzelt ist. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall gegeben. Die Folgen des Wohnungsverlustes seien für die Mieterin so schwerwiegend, dass sie auf eine Verletzung ihrer durch Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantierten Menschenwürde hinausliefen.

Die Interessen des Vermieters müssten  dahinter zurückzustehen. Die Gründe für die Eigenbedarfskündigung reichten nicht aus, um schwerer ins Gewicht zu fallen, als die Nachteile, die der Mieterin entstehen würden. Der Vermieter hatte als Gründe Komfortzuwachs und Vermeidung – nach Meinung des Gerichts unerheblicher – wirtschaftlicher Nachteile angegeben.

Eine erneute Revision zum BGH ließ das Gericht nicht zu.  Hiergegen ist eine Beschwerde beim Bundesgerichtshof möglich, wenn der Beschwer über 20.000,00 € liegen würde. Ob das im vorliegenden Verfahren der Fall ist, entscheidet der BGH.


Info: Was ist ein Beschwer

Ein Beschwer ist Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels. Rechtsmittel stehen nur dem zu, der durch eine Entscheidung subjektiv in seinen Rechten verletzt wurde. Man unterscheidet zwischen einem formellen und einem materiellen Beschwer.

Beispiel: Vor Gericht wird über einen Kaufpreis gestritten. Der Käufer weigert sich überhaupt zu zahlen. Der Verkäufer klagt einen festen Betrag ein. Das Gericht entscheidet, dass der Käufer zwar zahlen muss, aber einen geringeren Preis, als vom Verkäufer verlangt.

Der Verkäufer ist in Höhe des vom Gericht abgezogenen Betrages formell beschwert und
der Käufer in Höhe des zu zahlenden Betrags materiell beschwert.


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